Wie soll ich leben?
Schloss war unversehrt, jedoch die Felder und Weinberge waren verwüstet. Montaigne nahm die Arbeit an seinem Essai wieder auf und schrieb weiter über die vielfältigen Störungen, denen er ausgesetzt war. Sein politischer Einsatz aber war noch nicht zu Ende. In jenem Herbsttraf er sich mit Corisande und anschließend mit Heinrich von Navarra, der ihn im Oktober auf seinem Schloss besuchte. Offenkundig drängte Montaigne ihn erneut zu einem Kompromiss mit dem König. Auch Corisande versuchte ihn in dieser Richtung zu beeinflussen, eine Strategie, die sie allem Anschein nach mit Montaigne ausgeheckt hatte: Angriff mit einer Doppelspitze. Der Navarrer zeigte sich allmählich zum Einlenken bereit.
Anfang 1588 traf Montaigne erneut mit ihm zusammen. Kurz darauf schickte Heinrich ihn in streng geheimem Auftrag zum König nach Paris. Alle in der Hauptstadt schienen über diese Mission und ihren geheimnisvollen Protagonisten zu rätseln. Der protestantische Schriftsteller Philippe Duplessis-Mornay erörterte die Frage in einem Brief an seine Frau. Sir Edward Stafford, der englische Gesandte in Frankreich, sprach in seinen Berichten von «einem gewissen Montigny», den er als einen «sehr gelehrten Edelmann aus dem Gefolge des Königs von Navarra» beschrieb. Später fügte er hinzu, «alle Bediensteten des Königs von Navarra hier» erwarteten «begierig seine Ankunft». Das Gefolge Heinrichs von Navarra muss sich ausgegrenzt gefühlt haben. Montaigne war im Auftrag ihres Herrn unterwegs, aber niemand wusste, worin seine Mission bestand. Der spanische Gesandte Don Bernardino de Mendoza schrieb an seinen König, Philipp II., die Männer des Navarrers in Paris «kennen nicht den Grund seines Kommens» und vermuten, er sei «mit irgendeiner geheimen Mission betraut». Ein paar Tage später, am 28. Februar, deutete er den mutmaßlichen Einfluss Montaignes auf Corisande an und fügte hinzu, Montaigne gelte «als ein Mann der Verständigung, wenngleich er ein wenig zu wirren Gedanken neigen soll». Auch Stafford erwähnt die Verbindung zu Corisande. Montaigne, schrieb er, sei «ihr großer Favorit». Er sei auch «a very sufficient man», was in der Sprache der damaligen Zeit nichts anderes bedeutete als «äußerst befähigt». Offenbar war es Corisande und Montaigne gelungen, den Navarrer zu einem Kompromiss zu bewegen, vielleicht zur grundsätzlichen Bereitschaft, dem Protestantismus abzuschwören; und Montaigne war gekommen, dem König diese Botschaft zu überbringen.
Die ganze Angelegenheit war hochsensibel. Und sowohl die Ligisten als auch die protestantischen Anhänger Heinrichs von Navarra hattenallen Grund zu verhindern, dass Montaigne jemals Paris erreichte. Tatsächlich schien diese Mission der Versöhnung und Mäßigung fast allen zu missfallen. Sogar der englische Gesandte fürchtete Heinrichs Konversion zum Katholizismus, denn England wollte seinen Einfluss auf den Navarrer nicht verlieren. Die Einzigen, die über diese Entwicklung glücklich sein konnten, waren der König, Katharina von Medici und die Gruppe der politiques , die auf ein geeintes Frankreich hofften.
Kein Wunder also, dass Montaignes Reise nach Paris nicht reibungslos verlief. Kurz nach seinem Aufbruch von zu Hause, im Wald von Villebois südöstlich von Angoulême, wurde seine Gruppe von bewaffneten Räubern aus dem Hinterhalt überfallen. Diesmal wurde er nicht wegen seines ehrlichen Gesichts freigelassen wie bei jenem anderen Überfall. Diesmal hatte man es gezielt auf ihn abgesehen, und es steckte ein politisches Motiv dahinter, davon war er überzeugt. In einem Brief an Matignon wenig später äußerte er die Vermutung, die Angreifer seien Ligisten gewesen, die jede Einigung zwischen den beiden feindlichen Lagern verhindern wollten. Unter Androhung von Gewalt wurde er gezwungen, sein Geld, die guten Kleider in seinem Koffer (vermutlich für seinen Auftritt bei Hof) und seine Schriftstücke herauszugeben, zu denen zweifellos geheime Dokumente aus dem Lager Heinrichs von Navarra gehörten. Er hatte Glück, dass er mit dem Leben davonkam und – so darf man vermuten – seine Nachricht überbringen konnte. Doch trotz allem, was Montaigne riskiert hatte, und trotz des ganzen Wirbels um seine Person blieben die Bemühungen auch diesmal fruchtlos. Die Situation spitzte sich eher noch zu.
Im Mai 1588, kurz nach Montaigne, traf auch der Herzog von Guise, nach wie vor der gefährlichste Feind des Königs, in der Hauptstadt ein. Heinrich III. hatte
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