Wie soll ich leben?
verkriechen müsste.
In die Bastille geworfen zu werden, noch dazu in seinem schlechten Gesundheitszustand, muss ein Schock gewesen sein. Doch Montaigne hatte Grund zur Zuversicht. Fünf Stunden später wurde er durch Katharina von Medici gerettet. Auch sie war jetzt in Paris und hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, die Krise durch Verhandlungen beizulegen. Sie führte gerade ein Gespräch mit dem Herzog von Guise, als die Nachricht von Montaignes Verhaftung eintraf, und forderte ihn auf, Montaigne auf freien Fuß zu setzen, was Guise widerstrebend tat.
Guises Befehl wurde dem Kommandanten der Bastille überbracht, doch das genügte zunächst nicht. Der Kommandant bestand auf einerBestätigung durch den prévôt des marchands Michel Marteau, Sieur de La Chapelle, der sein Einverständnis durch den gleichermaßen einflussreichen Nicolas de Neufville, Seigneur de Villeroy, übermittelte. Es bedurfte also letztlich der Intervention von vier einflussreichen Personen, bis Montaigne endlich freigelassen wurde. Die Königinmutter muss ihn gemocht haben, der Herzog von Guise wohl weniger, doch sogar er sah ein, dass Montaigne besondere Rücksichtnahme verdiente.
Montaigne blieb danach nur noch für kurze Zeit in Paris. Zwar ließen die Gelenkschmerzen nach, aber es traten neue Beschwerden auf, wahrscheinlich eine der gefürchteten Nierenkoliken, die ihn fast das Leben gekostet hätte. Sein Freund Pierre de Brach beschrieb die Episode ein paar Jahre später in einem stoisch grundierten Brief an Justus Lipsius:
Als wir vor ein paar Jahren zusammen in Paris waren und die Ärzte sein Leben aufgaben, während er selbst nur noch auf sein Ende hoffte, erlebte ich, als der Tod ihm schon ins Gesicht starrte, wie er ihn mit seiner Verachtung der Todesangst in die Flucht schlug. Was für einen großartigen Beweis führte dieser Mann damals für das Ohr, was für eine großartige, weise Belehrung erteilte er der Seele, was für eine mutige Entschlossenheit demonstrierte er, um die Furchtsamsten zu beruhigen! Ich habe nie einen Mann erlebt, der besser redete und entschlossener war zu tun, was die Philosophen empfohlen hatten, wobei die Schwäche seines Körpers der Stärke seiner Seele keinen Abbruch tat.
Brachs Schilderung suggeriert, dass sich Montaigne seit seinem Reitunfall mit seiner Sterblichkeit abgefunden hatte. Er hatte seither einiges durchgemacht, und seine Nierenkoliken hatten ihn immer wieder dem Tod nahe gebracht. Der Anfall war ein Kampf wie auf einem Schlachtfeld. Der Tod würde sich am Ende zwar als der Stärkere erweisen, aber vorerst hatte Montaigne ihm erfolgreich Widerstand geleistet.
Während seiner Genesung besuchte Montaigne eine Freundin, die er im Jahr zuvor in Paris kennengelernt hatte: Marie de Gournay. Sie war von seinem Werk begeistert und hatte ihn auf das Schloss ihrer Familie in die Picardie eingeladen: für Montaigne eine willkommeneErholungspause. Unterdessen war die neue Ausgabe der Essais erschienen, und er dachte bereits über weitere Ergänzungen nach, in die seine jüngsten Erfahrungen einfließen sollten. Allein oder auch unterstützt von Marie de Gournay und anderen, fing er an, das druckfrische Exemplar mit Zusätzen und Einfügungen zu versehen.
Als Montaigne sich erholt hatte, reiste er im November 1588 nach Blois, wo der König und der Herzog von Guise an einer Versammlung der Generalstände teilnahmen. Das Ziel waren weitere Verhandlungen, doch Heinrich III. hatte anderes im Sinn. Er war ein König ohne Reich, und er war verzweifelt. Seit sechs Monaten lagen ihm seine Berater damit in den Ohren, dass alles anders gekommen wäre, hätte er damals den Herzog von Guise getötet.
Jetzt, im Schloss von Blois, bot sich ihm diese Gelegenheit erneut, und Heinrich beschloss, seinen Fehler wiedergutzumachen. Am 23. Dezember lud er den Herzog von Guise zu einer Unterredung in seine Privatgemächer ein. Trotz der Warnungen seiner Berater folgte Guise der Einladung. Als er die Gemächer neben Heinrichs Schlafzimmer betrat, sprangen mehrere Leibgardisten des Königs aus ihrem Versteck hervor, verschlossen hinter ihm die Tür und erdolchten ihn. Zum Entsetzen selbst seiner Anhänger war der König erneut von einem Extrem ins andere gefallen und hatte den Weg des klugen Mittelmaßes verlassen.
Montaigne war zwar nach Blois gekommen, um sich dem Gefolge des Königs anzuschließen, aber nichts deutet darauf hin, dass er in das Mordkomplott eingeweiht war. In den Tagen vor dem Attentat hatte er
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