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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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Unruhen dingfest gemacht wurde, den band man aufs Rad oder verbrannte ihn. Bordeaux wurde physisch, finanziell und moralisch gedemütigt. Die Stadt verlor die Befugnis zur Rechtsprechung in ihren eigenen Angelegenheiten, Artillerie und Schießpulver wurden beschlagnahmt, das parlement wurde aufgelöst und Bordeaux eine Zeitlang von Beamten aus anderen Teilen Frankreichs verwaltet.Die Kosten für die Besatzung musste die Stadt selbst tragen. Und als Moneins’ Leiche exhumiert wurde, um in der Kathedrale beigesetzt zu werden, mussten die städtischen Beamten vor Montmorencys Haus auf die Knie fallen und für den Mord um Vergebung bitten.
    Im Laufe der Zeit erhielt Bordeaux seine Privilegien zurück, nicht zuletzt durch die Bemühungen von Montaignes Vater, dem Bürgermeister. Erstaunlicherweise erreichte die Rebellion langfristig ihr Ziel. Entnervt von den Aufständen, beschloss Heinrich II., die Salzsteuer nicht einzufordern. Doch der Preis dafür war hoch gewesen.
    1549 brach in Bordeaux die Pest aus. Die Seuche wütete zwar nicht verheerend, aber doch so schlimm, dass jeder ängstlich seine Haut untersuchte und zusammenzuckte, wenn er auch nur jemanden husten hörte. Erneut musste das Collège schließen, doch zu dem Zeitpunkt hatte Montaigne wahrscheinlich die Schule bereits beendet. Er verließ sie um 1548 und brach auf in die nächste Phase seines jungen Lebens.
    Für die lange Zeitspanne bis 1557 ist ungewiss, womit genau er sich beschäftigte. Vielleicht kehrte er auf das väterliche Anwesen zurück, vielleicht besuchte er aber auch eine Akademie, wo junge Adlige den letzten Schliff im Reiten, Fechten, Jagen, in Wappenkunde, Gesang und Tanz erhielten. (Montaigne scheint sich nur für den Reitunterricht interessiert zu haben, der einzigen Disziplin, die er, wie er später behauptete, beherrschte.) Irgendwann muss er auch Rechtswissenschaften studiert haben. Als er ins Erwachsenenalter eintrat, war er jedenfalls mit allem gerüstet, um ein erfolgreicher seigneur zu werden. Er hatte in der Schule sämtliche dafür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten erworben. Hierzu gehörte auch etwas, was seinen Vater gefreut hätte: die Liebe zu Büchern und die Entdeckung der Welten, die sie ihm eröffneten – Welten, die die Weinberge von Guyenne und die Langeweile des Alltags einer Schule im 16. Jahrhundert weit hinter sich ließen.

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Frage: Wie soll ich leben?
Antwort: Lies viel, vergiss das meiste wieder, und sei schwer von Begriff!
Lesen
    Die intensiven Grammatikstudien, für die Cicero und Horaz herhalten mussten, hätten Montaignes Interesse an der Literatur fast im Keim erstickt. Doch es gab an seiner Schule auch Lehrer, die dem Kind die unterhaltsameren Bücher nicht aus der Hand rissen, wenn sie es bei deren Lektüre ertappten, sondern ihm noch weitere zusteckten – so diskret, dass es sie verschlingen konnte und sich trotzdem weiter als Rebell fühlte.
    Eines dieser als unpassend erachteten Bücher, die Montaigne im Alter von sieben, acht Jahren für sich entdeckte und die sein Leben veränderten, waren Ovids Metamorphosen . Die Geschichten über die wundersamen Verwandlungen der antiken Götter und Sterblichen hielten für die Leser im Zeitalter der Renaissance etwas bereit, das späteren Jahrhunderten dann die erschreckenden und erheiternden Märchen der Gebrüder Grimm oder Hans Christian Andersens bieten sollten. Jedenfalls waren sie ganz anders als das, was im Unterricht behandelt wurde. Ein phantasiebegabter Junge des 16. Jahrhunderts konnte die Metamorphosen mit großen, staunenden Augen lesen und sich von ihnen in ihren Bann schlagen lassen.
    Bei Ovid verwandeln sich die Menschen in Bäume, Tiere, Gestirne, Gewässer oder auch in körperlose Stimmen. Sie ändern ihr Geschlecht oder werden zu Werwölfen. Eine Frau namens Scylla taucht in einen giftigen Teich ein und beobachtet, wie sich ihre Gliedmaßen in hundeähnliche Ungeheuer verwandeln, denen sie sich nicht entziehen kann, weil diese Ungeheuer mit ihr identisch sind. Der Jäger Aktaion verwandeltsich in einen Hirsch und wird von seinen eigenen Hunden gejagt. Ikarus fliegt so hoch, dass er von der Sonne verbrannt wird. Ein König und eine Königin verwandeln sich in Berge. Die Nymphe Samacis stürzt sich in den Teich, in dem der schöne Hermaphroditus badet, und umschlingt ihn wie ein Tintenfisch seine Beute, bis ihr Körper mit seinem verschmilzt und sie eins werden, halb Mann, halb Frau. Nachdem Montaigne einmal Geschmack an dieser Art

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