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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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der ihn von dem griechischen Biographen trennte (und der viel größer war als der zwischen Montaigne und uns heutigen Lesern). Es sei unerheblich, schrieb er, ob jemand, den man liebt, seit 1500 Jahren oder – wie damals sein Vater – seit achtzehn Jahren tot war. Beide seien gleich weit entfernt, beide gleich nah.
    Montaignes Vergleich seiner Lieblingsautoren mit seinem Vater ist aufschlussreich für seine Art des Lesens. Er nahm Bücher zur Hand, als wären es Menschen, die er im Kreis seiner Familie willkommen hieß. Der widerspenstige, Ovid lesende Junge sollte später eine rund tausend Bände umfassende Bibliothek besitzen: eine stattliche Zahl, aber keineswegs ein bunt zusammengewürfelter Haufen. Einige Bücher waren das Vermächtnis seines Freundes La Boétie, andere kaufte er selbst. Er hatte keinen Sinn für die Schönheit des Einbands oder den Seltenheitswert eines Buchs. Montaigne wiederholte nicht den Fehler seines Vaters, Bücher oder deren Autoren zum Fetisch zu machen. Unvorstellbar, dass er Bücher küsste, als wären es Heiligenreliquien, wie es von Erasmus oder Petrarca überliefert ist. Oder dass er, bevor er mit der Lektüre begann, seine besten Kleider anzog, wie Machiavelli, der bekannte: «Ich ziehe mein schmutziges, verschwitztes Alltagsgewand aus und lege das Gewand des Hofes und des Palastes an, und in dieser festlicheren Kleidung betrete ich den Hof der antiken Autoren und werde von ihnen willkommen geheißen.» Montaigne hätte dieses Verhalten lächerlich gefunden. Er verkehrte mit den antiken Autoren in einem kameradschaftlichen Ton, manchmal machte er sich sogar über sie lustig, etwa wenn er Cicero als selbstgefällig bezeichnete oder meinte, Vergil hätte sich mehr anstrengen können.
    Anstrengung aber ist etwas, wozu er selbst sich nie bequemte, weder beim Lesen noch beim Schreiben. «Da oben blättere ich einmal in diesem, einmal in jenem Buch», schrieb er, «ohne Ordnung, ohne Plan: wie es sich eben ergibt.» Wenn er das Gefühl hatte, als gewissenhafter Gelehrter betrachtet zu werden, konnte er richtig ärgerlich werden. Ertappte er sich dabei, dass er soeben gesagt hatte, Bücher würden Trost spenden, beeilte er sich hinzuzufügen: «Ich bediene mich ihrernämlich kaum häufiger als jene, die überhaupt keinen Umgang damit haben.» Und einer seiner Sätze beginnt so: «Wir, die wir kaum gelehrten Umgang mit Büchern haben …» Seine Grundregel bei der Lektüre hatte er bei Ovid gelernt: Suche dein Vergnügen. «Stoße ich beim Lesen auf Schwierigkeiten», schrieb er, «zernage ich mir denn auch nicht die Nägel hierüber, sondern lasse die Sache, nachdem ich sie zwei-, dreimal vergeblich angegangen bin, auf sich beruhn.»
    Der lesende Narr. Holzschnitt von Albrecht Dürer
    In Wirklichkeit konnte er durchaus hart arbeiten, allerdings nur, wenn sich die Mühe für ihn lohnte. Anmerkungen von Montaignes Hand finden sich in einigen Büchern seiner Sammlung, besonders in seiner Ausgabe von Lukrez’ Über die Natur der Dinge – ein Text, der seine Aufmerksamkeit gewiss verdient hatte. Eigenwillig und intellektuell abenteuerlich, war es genau die Art Werk, das für Montaigne die Anstrengung wert war.
    Er bezeichnete sich selbst gern als Faulenzer, der ein paar Seiten liest, bevor er gähnend das Buch beiseitelegt. Das passt zu dem Eindruck des Dilettantischen, den er in seinem eigenen Schreiben vermitteln wollte. Wie die Lukrez-Ausgabe zeigt, war die Wahrheit komplizierter. Aber zweifellos legte er beiseite, was ihn langweilte. Indiesem Geist war er schließlich erzogen worden. Sein Vater hatte ihm gesagt, alles solle «in aller Milde und Freiheit […], ohne Härte und Zwang» angegangen werden. Diesen Rat machte Montaigne zum Grundprinzip seines Lebens.
Montaigne, der Langsame und Vergessliche
    Wenn Montaigne sich die Mühe machte, ein Buch durchzublättern, vergaß er, wie er selbst sagte, hinterher gleich wieder, was er gelesen hatte. «Das Gedächtnis ist ein höchst hilfreiches Instrument, ohne das der Verstand sein Werk kaum verrichten kann», schrieb er und fügte hinzu: «Mir fehlt es völlig.»
    Keinem Menschen steht es schlechter an als mir, vom Gedächtnis zu reden, denn ich entdecke in mir kaum eine Spur davon, und ich bezweifle, dass es auf der ganzen Welt ein zweites gibt, das so ungeheuerlich versagt.
    Er gab zu, dass ihn das störte. Es war ärgerlich, dass sich die interessantesten Ideen wieder verflüchtigten, die ihm bei einem Ausritt kamen, wenn er kein

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