Wie soll ich leben?
McDonald’s-Restaurants in Rom gegründet worden war, zu einer Philosophie vom guten Leben.
Montaigne hätte all das sehr gut nachvollziehen können. Für ihn war Langsamkeit der Schlüssel zur Weisheit und Mäßigung die Geisteshaltung gegen die Exzesse und den religiösen Fanatismus, die zu seinen Lebzeiten Frankreich beherrschten. Zum Glück war er von seinem Charakter her gegen beides immun und ließ sich nicht von einem religiösen Eifer mitreißen, der seine Zeitgenossen erfasst zu haben schien. Ich «bleibe fast immer in derselben Verfassung, wie es für schwere und träge Körper kennzeichnend ist», schrieb er. Sein träges Naturell habe ihn resistent gegen Einschüchterungen gemacht, da er «völlig unfähig gewesen wäre, sich dem Joch von Zwang und Gewalt zu beugen».
Aber wie so oft bei Montaigne ist auch das nur die halbe Wahrheit. Als junger Mann konnte er durchaus über die Stränge schlagen, und er war rast- und ruhelos. In den Essais schreibt er: «Ich weiß nicht, was mir schwerer fällt: den Geist oder den Körper an einem Punkt festzuhalten.» Vielleicht spielte er die Rolle des trägen Faulenzers nur, wenn es ihm passend schien.
«Das meiste von dem, was man gelernt hat, wieder vergessen» und «schwer von Begriff sein» sind zwei von Montaignes besten Antworten auf die Frage, wie man leben soll. Diese Bedächtigkeit verhalf ihm zu sicheren Urteilen und immunisierte ihn gegen Fanatismus und Täuschungen, denen andere ausgeliefert waren. Und sie ermöglichte ihm,seinen eigenen Gedanken nachzugehen, wohin immer sie ihn führten – das Einzige, worauf es ihm wirklich ankam.
Begriffsstutzigkeit und Vergesslichkeit konnten trainiert werden, Montaigne jedoch war überzeugt, dass er das Glück hatte, beides von Geburt an zu besitzen. Seine Neigung, den eigenen Vorstellungen zu folgen, wurde schon früh offenkundig und manifestierte sich in einer erstaunlichen Selbstsicherheit: «Ich erinnre mich, dass seit meiner zartesten Kindheit an meiner Körperhaltung und meinem Gebaren irgend etwas auffiel, das auf einen gewissen eitlen und törichten Stolz hinzudeuten schien.» Die Eitelkeit war oberflächlich, er war allenfalls «besprenkelt» damit. Aber seine innere Unabhängigkeit schenkte ihm Coolness. Stets bereit, seine Ansichten kundzutun, war der junge Montaigne auch bereit, andere auf das warten zu lassen, was er zu sagen hatte.
Der junge Montaigne in unruhigen Zeiten
Seine lässige Überlegenheit auch nach außen hin zur Schau zu stellen wurde ihm durch seine geringe Körpergröße erschwert: ein Umstand, der ihm zu ständigen Klagen Anlass gab. Bei Frauen falle die Körpergröße nicht ins Gewicht, schrieb er, und könne durch andere Vorzüge ausgeglichen werden. Bei Männern hingegen sei eine stattliche Gestalt die einzige «Schönheit» – und ausgerechnet daran mangelte es ihm.
Ist einer kleinwüchsig, vermögen weder die Breite und Wölbung der Stirn noch die Klarheit und Sanftheit der Augen, weder der mittlere Schnitt der Nase noch die Feinheit von Ohren und Mund, weder die Wohlgeordnetheit und Weiße der Zähne noch die gleichmäßige Fülle eines kastanienbraunen Bartes, weder das kräftige Haar noch die rechte Rundung des Kopfes, weder die Frische der Hauttönung noch die angenehmen Gesichtszüge, weder die Geruchlosigkeit des Körpers noch das stimmige Größenverhältnis der Gliedmaßen einen schönen Mann aus ihm zu machen.
Selbst Montaignes Bedienstete blickten nicht zu ihm auf, und wenn er mit einem Gefolge von Dienern reiste oder den königlichen Hof besuchte, fand er es ärgerlich, dass man ihn fragte: «Wo ist der Herr?»Aber er konnte wenig dagegen tun, außer möglichst auf einem Pferd zu sitzen, sein bevorzugter Trick.
Ein Besuch in Montaignes Turm scheint diese Selbstwahrnehmung zu bestätigen: Die Türen sind nur etwa einsfünfzig hoch. Damals waren die Menschen zwar generell kleiner, und die Türen stammen aus der Zeit vor Montaigne, aber er schlug sich sicher nicht oft genug den Kopf an, um den Türstock versetzen zu lassen. Freilich lässt sich schwer sagen, ob seine geringe Körpergröße oder seine selbstbehauptete Faulheit hierbei die entscheidende Rolle spielte.
Er war klein von Gestalt, aber von «kräftigem Wuchs», und stützte sich gern «mit gespielter Lässigkeit» auf einen Stock. In späteren Jahren übernahm er die Gepflogenheit seines Vaters, fast nur asketisches Schwarz und Weiß zu tragen. Als junger Mann jedoch trug er «den Mantel schräg
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