Wie Tau Auf Meiner Haut
sehr am Herzen gelegen.
Aus und vorbei.
Ich hatte einen Beruf. Einen jener seltsamen, intellektuell herausfordernden
Jobs, in denen ich mich in wertvollen alten Pergamentpapierrollen und
unbekannten Büchern so sehr verlieren konnte, dass Ford mich manchmal damit
neckte, ich sei im falschen Jahrhundert geboren. Auch das ist Vergangenheit.
Und jetzt muss ich entweder fliehen oder mich verstecken, sonst werde ich
ebenfalls umgebracht. Wie eine Ratte habe ich monatelang in verschiedenen
Löchern gehaust und ein paar gestohlene Manuskripte und alte Übersetzungen
mit mir herumgeschleppt. Ich habe gelernt, mein Aussehen zu verändern, mir
gefälschte Papiere zu besorgen und notfalls auch ein Auto zu stehlen.
Gelegentlich esse ich, allerdings nicht gut. Ford würde mich nicht wieder
erkennen. Mein eigener Mann würde mich nicht erkennen! Aber ich darf über
diese Dinge nicht länger nachdenken.
Wie ist es soweit gekommen?
Die Frage ist nur noch rhetorischer Art. Ich weiß genau, wie es gekommen ist.
Ich habe dabei zugesehen. Ich habe gesehen, wie Parrish sie beide ermordet hat.
Zwischen vorher und nachher kann man keine Brücke schlagen, die Zeiten kann
man einander nicht anpassen. Innerhalb weniger Augenblicke wechselte ich von
respektabel zu flüchtig, von Ehefrau zu Witwe, von Schwester zu Überlebender,
von normal zu... diesem Zustand jetzt.
Nur der Hass treibt mich noch weiter.
Es ist ein so starker und reiner Hass, dass er mir manchmal schon unheimlich ist.
Kann man durch Hass geläutert werden? Kann er all die kleinen Hindernisse aus
dem Weg räumen, damit man ihn voll und ganz ausleben kann? Ich glaube ja,
denn in meinem Fall scheint es so gewesen zu sein. Ich will, dass Parrish für das,
was er mir und den von mir geliebten Menschen angetan hat, bezahlen soll. Ich
will, dass er umkommt. Ich will nicht, dass Ford und Bryant für nichts und wieder
nichts sterben mussten. Also muss ich auch die Stiftung angreifen, nicht nur
Parrish. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich brauchen werde, um mein Ziel zu
erreichen. Ich weiß nicht, ob ich es rechtzeitig schaffen werde oder bei dem
Versuch umkomme. Aber versuchen kann ich es, denn Hass und Rache sind
alles, was mir noch geblieben ist.
Ich muss den Schwarzen Niall finden.«
Sie hielt inne und starrte auf den Bildschirm, Während des Studiums hatte sie ein
Tagebuch mit einem weichen Ledereinband besessen. Ford hatte es ihr zu ihrem
ersten gemeinsamen Weihnachten geschenkt. Sie hatte darin ihre Arbeitserfolge,
die Fortschritte bei ihren Übersetzungen verzeichnen wollen, statt dessen aber
war es zu einem persönlichen Tagebuch geworden. Als sie dann einen
Laptopcomputer bekommen hatte, hatte sie die Angewohnheit auf die
elektronische Seite übertragen.
Im Tagebuch hatte sie auch ihre Flucht vor Parrish Sawyer dokumentiert. Nur
dem Tagebuch hatte sie ihre aufgestaute Trauer anvertrauen können, nur dort
durfte sie um Ford und Bryant trauern. Ihm hatte sie auch ihre wachsende
Faszination, ihre zwischen Unglauben und Erstaunen wechselnden Gefühle über
die alten Manuskripte mitgeteilt, deretwegen Ford und Bryant ihr Leben hatten
lassen müssen. Erst hatte sie den Unterlagen nicht glauben wollen, aber dann
hatte es zu viele sich deckende Hinweise gegeben, als dass es lauter Zufälle
hätten sein können. Auch Parrish hatte die in den Dokumenten verborgenen
Geheimnisse ernst genommen. Und schließlich hatte auch Grace daran geglaubt.
Behutsam schloss sie die Datei, schaltete den Laptop aus und stellte ihn
vorsichtig zur Seite. Sie wusste nicht, ob sie ihre Sachen mitnehmen konnte oder
ob sie bei ihrer dortigen Ankunft kein Hemd mehr auf dem Leib hätte. Sie hatte
nicht gescherzt, als sie über ihre Nacktheit gesprochen hatte.
Sie konnte überhaupt gar nichts mit Sicherheit sagen, sie wusste noch nicht
einmal, ob die ganze Prozedur überhaupt klappen würde. Wenn nicht, so wäre
wenigstens nur Harmony Zeuge, wie lächerlich sie sich gemacht hatte. Wenn es
nicht funktionieren sollte, dann würde sie einen anderen Weg finden, die Stiftung
und Parrish zu Fall zu bringen. Wenn es jedoch funktionierte...
Sie atmete tief ein. Sie hatte alles vorbereitet, wieder und wieder ihre
Berechnungen kontrolliert. Sie hatte die richtigen Mineralien gefunden, die Felsen
nämlich, damit die Stromleitfähigkeit erhöht wurde. Sie hatte die
vorgeschriebene Wassermenge getrunken, die sie mittels ihrem Gewicht und der
Anzahl der zu
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