Wie Tau Auf Meiner Haut
Computertasche, in ihre
Hosentaschen, ihren Büstenhalter und in ihre Schuhe. Dabei suchte sie die ganze
Zeit mit den Augen die Umgebung ab, doch die Straßen lagen ruhig und
verlassen da. Die nächtlichen Streuner würden sich nun langsam in ihre
Unterschlupfe zurückziehen und die Stadt den Tagesbewohnern überlassen.
Vielleicht verhielt es sich tatsächlich so. Sie durfte jetzt aber keine Risiken
eingehen. Sie brauchte eine Waffe, ganz gleich, welche, und egal wie primitiv.
Eine Waffe, mit der sie sich schützen konnte. Sich umblickend, hoffte sie, einen
brauchbaren Knüppel zu finden. Aber auf dem Boden lagen nur ein paar
Glasscherben und einige Steine. Eine primitivere Waffe als einen Stein gab es
wohl kaum.
Sie las einige davon auf und steckte sie alle bis auf den größten in ihre
Jackentasche. Den größten nahm sie in die Hand. Natürlich wusste sie, wie
lächerlich diese Verteidigungswaffe war, dennoch gab der Stein ihr ein Gefühl der
Sicherheit. Eine schlechte Waffe war besser als gar keine.
Sie musste Kristian anrufen, und sie musste Minneapolis verlassen. Sie hatte
keinen sehnlicheren Wunsch, als sich hinzulegen, zu schlafen und wenigstens für
ein paar Stunden vergessen zu dürfen. Diese Extravaganz aber würde warten
müssen. Grace eilte durch die Straßen, während die Morgendämmerung anbrach.
Langsam ging die Sonne auf. Es war ihr erster Tag als Witwe.
Kapitel 3
»Es dürfte eigentlich nicht sonderlich schwer sein, sie zu finden«, murmelte
Parrish und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Seine makellos manikürten
Finger trommelten einen Marschrhythmus auf die hölzernen Armlehnen. »Von
der hiesigen Kriminalpolizei bin ich wirklich enttäuscht. Die kleine Grace besitzt
weder ein Auto noch irgendwelche Überlebensinstinkte, und dennoch hat sie euch
an der Nase herumgeführt. Das hat mich wirklich überrascht. Ich dachte, sie
würde schreiend zum Nachbarn rennen oder aber zur nächstbesten Polizeistation,
aber nein, sie hat sich irgendwo verkrochen. Zugegeben, das alles ist natürlich
etwas lästig. Aber letztlich zögert sie das Unvermeidliche lediglich hinaus. Wenn
die Polizei sie schon nicht finden kann, dann wird es dir sicherlich gelingen.
Davon jedenfalls bin ich fest überzeugt. «
»Ja«, erwiderte Conrad. Er war kein Mann der großen Worte, doch im Laufe der
Jahre hatte sich Parrish von seiner Zuverlässigkeit überzeugen können. Conrad
konnte sowohl sein Vor- oder aber auch sein Nachname sein, wer wusste das
schon. Er war untersetzt und kräftig, und sehr intelligent sah er nicht aus. Kurzes
dunkles Haar wuchs auf seinem kugelförmigen Kopf, der Ansatz reichte bis tief in
die Stirn. Die nicht mehr schmeichelhafte Ähnlichkeit mit einem großen
Menschenaffen wurde durch die kleinen dunklen Augen und die etwas
vorspringenden Augenwülste nicht gerade abgemildert. Aber sein äußerliches
Erscheinungsbild täuschte. Der kräftige Kerl konnte sich sehr schnell und äußerst
geschickt bewegen, und hinter dem geistlosen Gesichtsausdruck steckte ein
verschlagenes, präzise funktionierendes Gehirn. Eine seiner auffälligsten
Eigenschaften war die, dass Parrish in all den Jahren ihrer Bekanntschaft niemals
den Anflug eines Gewissensbisses bei Conrad hatte entdecken müssen. Alle
Anordnungen führte er mit bewundernswerter, geradezu maschineller Perfektion
aus. Ob und was er sich dabei dachte, wusste außer ihm kein Mensch.
»Wenn du sie findest«, fuhr Parrish fort, »dann bring den Computer und die
Dokumente sofort hierher. « Parrish enthielt sich jeder Anweisung, wie mit Grace
St. John zu verfahren sei, denn das wusste Conrad ohnehin besser. Der
Kugelkopf nickte knapp und verließ wortlos das Zimmer. Wieder allein, seufzte
Parrish. Seine Finger trommelten immer noch gegen seine Enttäuschung an. Die
ganze Sache hatte einen ungünstigen Verlauf genommen. Alles war anders
gekommen als geplant. Die drei hätten zusammen im Haus sein sollen, ehe er
mit seinen Männern hineinging. Parrish hatte darauf geachtet, dass alle drei
Autos vor der Tür geparkt waren. Aber Grace war nicht dagewesen, und ihr
Computer und die Dokumente auch nicht. Außerdem hatten sich Ford und Bryant
als bemerkenswert kluge Lügner erwiesen. Wer hätte gedacht, dass zwei
Archäologen, zwei versponnene Gelehrte, die Situation sofort im Kern erfassen
und ohne zu zögern eine glaubwürdige Lüge formulieren konnten?
Doch genau das hatten sie getan. Und er hatte den
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