Wie Tau Auf Meiner Haut
schwerwiegenden Fehler
begangen, ihnen zu glauben. Sich dermaßen düpieren zu lassen sah ihm gar
nicht ähnlich, und es ärgerte ihn, zum Narren gehalten worden zu sein. Grace
musste sich direkt vor dem Haus aufgehalten und alles beobachtet und gehört
haben. Das Geräusch vor dem Fenster war aller Wahrscheinlichkeit nach sie
gewesen. Auch dass er vergessen hatte, die Vorhänge richtig zuzuziehen, war ein
untypischer Fehler. An manchen Tagen lief eben alles schief.
Er und Conrads Leute waren schnell verschwunden und hatten keine
Fingerabdrücke oder andere Hinweise auf ihre Anwesenheit zurückgelassen. Die
Szene im Schlafzimmer machte ganz den Eindruck, den sie geplant hatten. Jeder
Polizist, der die Spuren untersuchte - zwei halbnackte Männer in einem
Schlafzimmer, beide mit einer Kugel im Kopf, die Frau des einen nicht auffindbar
-, nun, der musste wahrlich kein Genie sein, um sich einen Reim darauf zu
machen. Die klügsten Kriminalisten von Minneapolis hatten genauso reagiert, wie
er es von ihnen erwartet hatte: Sie hielten sich bedeckt und gaben keine Details
an die Presse heraus. Gleichzeitig jedoch war Grace ihre Hauptverdächtige. Er
hatte vermutet, dass sie sofort die Polizei benachrichtigen würde. Also war er in
sein luxuriöses Haus in Wayzata zurückgekehrt und hatte gewartet. Wegen ihrer
Anschuldigungen machte er sich keine Sorgen; warum schließlich sollte er zwei
Menschen umbringen, um an Dokumente zu kommen, deren Aushändigung ihm
ohnehin nicht verweigert werden konnte? Er saß im Verwaltungsrat zweier
Krankenhäuser und spendete regelmäßig und freigiebig an alle politisch
korrekten Wohltätigkeitsorganisationen. Einige der reichsten Familien der Stadt
machten sich - natürlich unbegründete - Hoffnungen, ihn als Schwiegersohn zu
gewinnen. Außerdem hatte er in seiner Haushälterin Antonetta Dolk ein sicheres
Alibi. Sie würde schwören, er habe den ganzen Abend in seinem Arbeitszimmer
verbracht, und sie habe ihm dort Kaffee serviert. Antonetta war jedem
Lügendetektortest gewachsen, eine Fähigkeit, die er an seiner Haushälterin
höher schätzte als gründliches Staubwischen. Natürlich arbeitete sie für die
Stiftung, denn er hatte dafür Sorge getragen, dass die Menschen in seinem
Umfeld ihm gegenüber vollkommen loyal waren. Dass die Dokumente nach so
langer Zeit aufgetaucht waren, war einfach unglaublich. Sie waren bei einer
Routineausgrabung in Südfrankreich gefunden worden. Bei dieser Ausgrabung
hatte man nichts wirklich Altes gefunden, weswegen denn auch den Dokumenten
kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden war. Kein Archäologe würde sich von
Dokumenten Aufschlüsse erwarten, die erst wenige Jahrhunderte alt waren. Um
den für diese Fehleinschätzung Verantwortlichen würde man sich auch noch
kümmern müssen - eine weitere Aufgabe für Conrad. Wären die Dokumente
ordnungsgemäß eingeschätzt worden, wären sie niemals fotokopiert und an
Grace St. John zur routinemäßigen Übersetzung geschickt worden. Nichts
dergleichen wäre geschehen, und die wertvolle Information wäre jetzt nicht in
Graces, sondern in seinen Händen. Ford hatte ihn auf den der Dokumente
aufmerksam gemacht und so seinen eigenen Tod heraufbeschworen. Das Leben
kann einem schon manches Schnippchen schlagen, sinnierte Parrish. Fords
beiläufige Bemerkung, Grace sitze an einer Übersetzung, die etwas mit dem
Tempelorden zu tun hätte, hatte eine Lawine in Gang gesetzt.
Parrish war unverzüglich die Eingangslisten durchgegangen und hatte die
Originaldokumente bis zu ihrem Aufbewahrungsort in Paris zurückverfolgt. Die
Franzosen bereiteten einem manchmal Schwierigkeiten, Artefakte aus ihrem
Land zu exportieren, und zwar auch dann, wenn diese weder besonders alt noch
besonders wertvoll waren.
Parrish hatte seine Leute losgeschickt, um die Originale zu beschaffen. Doch
diese waren offenbar einem Brand zum Opfer gefallen, wenn auch in dem
Gewölbe sonst nichts beschädigt worden war. Von den Dokumenten war nur
feine, weiße Asche übrig geblieben. Grace St. John besaß also die einzigen noch
vorhandenen Kopien. Laut der Eingangsbescheinigung arbeitete sie bereits seit
drei Tagen an der Übersetzung. Grace leistete gute Arbeit, sie verfügte über die
besten Sprachkenntnisse der Abteilung. Möglicherweise hatte sie bereits genug
entziffert, um sich der Bedeutung der Dokumente bewusst zu sein. Sowohl Grace
als auch jeder andere Mitwisser mussten beseitigt
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