Wie Tau Auf Meiner Haut
zusammenhalten könnte.
Sie hatte noch nicht einmal Fords Familiennamen, Wessner, angenommen. Weil
es modern und praktisch war, hatte sie ihren Geburtsnamen St. John behalten,
der auch auf ihrem Führerschein und auf ihrer Sozialversicherungskarte
auftauchte. Ihren Namen zu ändern hätte einige Behördengänge erfordert.
Abgesehen davon war Minneapolis politisch ja ach so korrekt. In der
akademischen Welt hätte man sie für hoffnungslos altmodisch erachtet, wenn sie
den Namen ihres Mannes angenommen hätte.
Ihr Schmerz darüber war unerträglich. Ford hatte sein Leben für sie gegeben,
und sie hatte noch nicht einmal seinen Namen annehmen wollen. Er hatte die
Sache niemals erwähnt. Aber so, wie sie Ford kannte, war es ihm einfach nicht
wichtig gewesen. Ihn interessierten nur die wesentlichen Dinge. Dass sie
geheiratet hatten, war ihm wichtig und nicht, welchen Namen sie trug. Plötzlich
jedoch erschien ihr das als eine bedeutende Frage. Wenn sie jetzt seinen Namen
trüge, so hätte sie noch eine Verbindung zu ihm, zumal sie ja nun keine Kinder
mehr haben konnten. Sie wollten zwei Kinder haben, die sie jedoch noch so
lange zurückgestellt hatten, bis sie beide mit ihrer Karriere etwas weiter waren.
Letztes Weihnachten hatten sie sich entschlossen, noch ein Jahr zu warten, und
Grace hatte weiter die Pille genommen. Jetzt war Ford tot, und die überflüssigen
Pillen lagen in einem Haus, das einmal ihr Zuhause gewesen war und in das sie
nie wieder zurückkehren würde.
O Gott, Ford!
Der Gedanke war unerträglich, der Schmerz zu groß. Sie musste etwas tun,
sonst würde sie den Verstand verlieren. Sonst würde sie schreiend aus dem
schäbigen Blechverschlag rennen und so lange auf der Straßenmitte stehen
bleiben, bis sie entweder verhaftet oder aber überfahren wurde. Mit ungelenken
Bewegungen zerrte sie die Computertasche aus der Plastiktüte. Der Verschlag
war in ein grünes, dämmriges Licht getaucht und war zu dunkel, um an den
Kopien ihrer Übersetzung zu arbeiten. Einige davon hatte sie jedoch bereits auf
Diskette übertragen, und am Computer könnte sie auch in diesem Licht arbeiten.
Um wirklich zu arbeiten, war sie allerdings viel zu müde, aber sie brauchte
einfach die Ablenkung. Über ihrer Arbeit hatte sie immer schon alles andere
vergessen können, vielleicht würde ihr die Arbeit auch jetzt den Verstand retten
und sie vor einem Nervenzusammenbruch bewahren.
So eingezwängt, wie sie in der Ecke des Verschlages saß, hatte sie nur wenig
Bewegungsfreiheit. Sie räumte die Kartons mit dem Christbaumschmuck beiseite
und schob einen als Computerablage vor sich, denn der Laptop wurde zu heiß,
um ihn auf den Knien halten zu können. Sie öffnete den Computer und schaltete
ihn an. Der Bildschirm leuchtete auf, die Maschine gab das während des
Startvorgangs übliche Piepsen von sich. Als die Menüleiste auf dem Bildschirm
erschien, klickte sie das gewünschte Programm an und schob eine Diskette in
das Laufwerk. Die Diskette enthielt die Passage, an der sie zuletzt gearbeitet
hatte. Diese Passage war es auch, die ihre Neugier geweckt hatte, noch mehr
über den Tempelritter erfahren zu wollen. Der Text war in Altfranzösisch
abgefasst. Diese Sprache war ihr so vertraut, dass sie auch ohne allzu große
Konzentration daran arbeiten konnte. Sie klickte die Datei an, und der Text füllte
den Bildschirm. Die alten Buchstaben waren kaum lesbar und die
Rechtschreibung oft sehr eigenwillig, denn im Mittelalter schrieb jeder so, wie er
es für richtig hielt und es seinem Gehör entsprach. Grace blickte auf den
Bildschirm und ließ die Zeilen weiter springen. Trotz allem fühlte sie, wie sie
allmählich ihre Konzentration zurückgewann. Sie wurde von dem Text magisch
angezogen. Der Name »Niall von Schottland« sprang ihr erneut in die Augen,
und sie holte tief Luft. Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, rückte den
Computer heran und fischte Stift und Notizblock aus der Seitentasche. Wer auch
immer dieser Niall von Schottland vor seinem Beitritt zum Tempelorden gewesen
sein mochte, dort jedenfalls entwickelte er sich schnell zu einem der
bedeutendsten Krieger. Sie ging die kaum lesbaren Zeilen durch und markierte
unentzifferbare Abschnitte. Von ihr unbemerkt, beschleunigte sich ihr Puls, und
der vermehrte Sauerstoff steigerte ihre Konzentration. Sie hatte das Gefühl, als
ob der Bericht über das Leben eines Ordensritters, der vor siebenhundert
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