Wie Tau Auf Meiner Haut
ein
persönlicher Rekord. Andererseits hatte sie ihren Computer bereits seit achtzig
Sekunden unbeaufsichtigt zurücklassen müssen.
Zwei Kassen waren geöffnet. An der einen lud ein Junggeselle ein paar
Fertiggerichte, ein Sechserpack Bier und eine Großpackung Kartoffelchips auf das
Band, für einen allein stehenden Mann eine gängige Zusammenstellung. An der
zweiten Kasse zählte ein gebeugter alter Herr umständlich das Geld für eine
Packung Kopfschmerztabletten ab. Grace wählte die zweite Kasse. Der Kassierer
überreichte dem alten Mann die Quittung, die er lächelnd entgegennahm.
»Meine Frau hat Kopfschmerzen«, erklärte er freundlich.
Er war ein Gentleman vom alten Schlag, als Freundlichkeit gegenüber Fremden
noch eine Selbstverständlichkeit war und nicht etwas, wovor man erschreckte.
»Kein Aspirin im Haus. Verstehe ich gar nicht, sonst hat sie eigentlich immer alle
möglichen Tabletten vorrätig. Heute aber war kein einziges Aspirin aufzutreiben.
« Er wandte den Kopf und nickte Grace augenzwinkernd zu. Offenbar hatte er
sich gerne nützlich gemacht.
Der routinierte Kassierer tippte Graces drei Einkäufe ein, während der alte Mann
sein Portemonnaie in die Tasche zwängte. »Zwölf siebenunddreißig. Baumsterben
oder Luftverschmutzung? «
Grace blinzelte verständnislos. »Ich - was? « Sie reichte ihm dreizehn Dollar.
»Papier oder Plastik? « übersetzte der Angestellte grinsend seine Frage. Der alte
Mann kicherte und machte sich auf den Weg.
»Plastik«, erwiderte Grace. Die Nachtschicht hatte offenbar gute Laune. Sie
verspürte so etwas wie Belustigung, ein wenig Leben in der Ödnis ihres Herzens,
ein zaghaftes Herzklopfen zum Zeichen dafür, dass sie noch lebte. Für den
Bruchteil einer Sekunde lächelte sie, für den Bruchteil einer Sekunde lebte sie
wieder. Sie blickte dem alten Mann hinterher, der gerade durch die
automatischen Türen ging. Durch die breite Frontscheibe des Ladens sah sie zwei
Männer aus einem großen, direkt vor der Tür parkenden Dodge steigen.
Der eine Mann wartete darauf, bis der andere um das Auto herumgekommen
war, dann gingen sie gemeinsam auf den Laden zu. Der eine war dunkelhaarig,
kräftig, und seine Kopfform erinnerte entfernt an die eines Schimpansen. Der
andere war mittelgroß, von normaler Statur mit unauffälligem braunem Haar. Er
sah... eben unauffällig aus. Hosen und Jackett waren weder zu neu noch zu
abgetragen. In einer Menschenmenge würde keiner der beiden auffallen, noch
nicht einmal der, der einem Affen ähnelte. Er war einfach nur ein Typ mit einem
etwas zu tiefen Haaransatz und ein wenig zu muskulös, mehr nicht. Ihr
Gleichschritt jedoch verriet, dass sie ein ganz bestimmtes Ziel anpeilten und
etwas zu erledigen hatten.
»Ihr Wechselgeld. Dreiundsechzig Cents. «
Geistesabwesend nahm Grace das Wechselgeld entgegen. Archäologen wissen
viel über Anthropologie, da beide Wissenschaften Hand in Hand arbeiten, wenn
sie die Lebensumstände früherer Menschen rekonstruieren. Grace hatte mit zwei
Archäologen, ihrem Mann und ihrem Bruder, zusammengelebt und über die Jahre
einiges aus ihren Unterhaltungen aufgegriffen. Zwei Männer, die gemeinsam ein
bestimmtes Ziel anstrebten. Männer liefen nur dann synchron, wenn sie als Team
an einer festgelegten Aufgabe arbeiteten. Normalerweise gingen Männer zwar
schon nebeneinander, aber eben nicht miteinander, damit sie Frauen keine
falschen Signale übermittelten.
Sie riss dem vollkommen verdatterten Kassierer die Einkaufstüte aus der Hand
und rannte in den Laden zurück.
»Hey! « rief ihr der überraschte Angestellte hinterher, doch Grace zögerte nicht
einen Augenblick. Sie warf den beiden Männern vor der Tür einen Blick zu.
Offenbar hatten sie sie bereits beobachtet, denn jetzt fingen sie zu rennen an.
Sie ließ sich zu Boden fallen und robbte zwischen mehreren Regalen hindurch,
die die beiden Männer von ihrem Standpunkt aus nicht einsehen konnten. Ihr
Puls raste, doch merkwürdigerweise empfand sie keine Panik, sondern lediglich
eine gesteigerte Wachsamkeit. Sie war in einem geschlossenen Bereich gefangen
und wurde von zwei Männern verfolgt, denen sie nur durch große Schnelligkeit
entkommen konnte. Ihnen jedoch zu entkommen war beinahe unmöglich. Das
mussten Parrishs Leute sein, und Parrish würde bestimmt den Befehl gegeben
haben, sie notfalls von hinten zu erschießen. Eine Frau schob am anderen
Gangende ihren Einkaufswagen herein und
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