Wie Tau Auf Meiner Haut
süß, sondern salzig und nahrhaft. Grace schob
ihren Wagen an die Kasse, griff nach einer Packung Erdnüsse, warf sie auf das
Band und begann, ihre restlichen Einkäufe ebenfalls auf das Band zu legen. Die
gelangweilte, müde Kassiererin tippte die Waren ein und verpackte sie in
knisternde Plastiktüten. »Einhundertzweiunddreißig und siebzehn«, nuschelte sie.
Grace schluckte. Einhundertzweiunddreißig Dollar! Sie blickte auf die beiden
Plastiktüten und den Seesack. Für eine bessere Tarnung auf ihrer Flucht brauchte
sie diese Sachen. Missmutig wühlte sie in ihren Taschen und zog zwischen alten
Rechnungen sieben zwanziger hervor.
Nachdem sie ihr Wechselgeld erhalten hatte, nahm sie den Seesack in die eine,
die beiden Tüten in die andere Hand.
Mit der Hüfte schob sie den Wagen wieder in die Reihe zurück, wo er morgen
dem nächsten Kunden dienen würde. Vor dem Laden stand ein Getränkeautomat.
Grace zog sich eine Dose und steckte sie in eine der Tüten. Ihr Herz klopfte
aufgeregt, als sie wieder zur Gartenabteilung zurückging. Abgesehen von einem
Angestellten, der die Pflanzen für die Nacht abdeckte, war es dort menschenleer.
Als er sich umwandte, kauerte sie sich schnell hinter einen der Saatsäcke. Sie
stellte die Stofftasche ab und fuhr mit der freien Hand suchend den dunklen,
kalten Boden ab. Doch ihre Finger fühlten nur groben, feuchten Kies. Blanker
Schrecken lahmte ihren ganzen Körper. Hatte sie doch jemand beobachtet und
die Tüte gestohlen, nachdem sie in den Laden gegangen war? Mit vor Angst
geweiteten Augen kroch sie in das Dunkel. Nur noch stoßweise atmend,
versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn sie jemand beobachtet
hatte, musste der sich in den Bäumen verborgen haben. War er auch wieder
dorthin zurückgekehrt? Würde sie ihn finden können? Sollte sie jetzt etwa jeden
angreifen, der eine Plastiktüte trug? Die Antwort konnte nur lauten: Ja, wenn es
nötig sein sollte. Sie durfte jetzt nicht aufgeben. Aber hatte sie den Zaun auch
wirklich weit genug abgesucht? Suchte sie überhaupt an der richtigen Stelle?
Nach der hellen Ladenbeleuchtung hatten sich ihre Augen noch nicht wieder an
die Dunkelheit gewöhnt. Vielleicht hatte sie auch nur die Entfernung von der
Ecke unterschätzt. Behutsam stellte sie die raschelnden Tüten mit ihren neuen
Sachen ab und kroch an dem Zaun entlang. Sie wagte kaum zu hoffen, dass sie
sich getäuscht hatte. Dennoch durfte sie nichts unversucht lassen. Ihre
ausgestreckte Hand stieß auf Plastik ...
Vor Erleichterung zitternd, sank sie auf den Boden und untersuchte den
kostbaren Schatz in ihren Händen. Alles war noch da, der Computer, die
Disketten, die Dokumente. Sie hatte also doch noch nichts verloren.
Eilig griff sie nach dem neuen Seesack, zog den Reißverschluss auf und stopfte
ihre neuen Kleider und den Computer hinein. Dann tauchte sie in dem nächtlich
dunklen Wald unter und wagte es erst dort, die Erdnüsse zu essen und ihren
Durst zu stillen.
Nachdem sie gegessen und sich ausgeruht hatte, starrte sie durch die Bäume
hindurch auf das helle Licht. Das Kaufhaus hatte jetzt geschlossen, aber dahinter
leuchteten ein Imbiss und ein Supermarkt auf. Die Vorstellung eines Hamburgers
war wenig verlockend, der eines Lebensmittelgeschäftes jedoch schon. Sie
könnte ein Brot und ein Glas Erdnussbutter kaufen. Ein solcher Kauf wäre etwas
so Alltägliches, dass sich keiner weder an sie noch an ihre Einkäufe erinnern
würde. Erledige das jetzt in der Nacht, ermahnte sie sich. Sie hatte bereits so
viel erledigt: gesprochen, wenn auch nur mit einem Hund, sich wieder unter
Leute begeben, Kleidung gekauft. Die nächtlichen Kunden waren tatsächlich eine
vollkommen andere Klientel als die am Tag. Sie hatte schon oft Kassiererinnen
davon erzählen hören, welch merkwürdige Dinge Nachts passierten. Nun würde
sie auch eine dieser eigenartigen Gestalten sein, aber niemandes
Aufmerksamkeit erregen. Entschlossen nahm Grace ihren Seesack und lief die
Straße entlang Richtung Supermarkt.
Mit der Tasche konnte sie den Laden aber unmöglich betreten. Sie versuchte,
sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Hinter dem Laden befand sich
eine Wohnstraße mit Häusern und Autos. Der Laden war an drei Seiten mit
einem drei Meter hohen Maschendrahtzaun gesichert. Links von dem Laden
befand sich eine Verladerampe und ein hoher Stapel leerer Verpackungen, ein
idealer Unterschlupf für einen Obdachlosen
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