Wie Tau Auf Meiner Haut
dann verdrängte er dieses
Gefühl. Gefühle durfte es in seinem Job nicht geben.
Die Leuchtreklame eines Kmart-Kaufhauses flackerte im nächtlichen Himmel auf
und zog Grace magisch an. Sie hatte Felder, Baugrundstücke und Hinterhöfe
durchquert und sich noch ein paar Mal mit Hunden abplagen müssen. Das waren
zwar nur Haustiere und keine Wachhunde gewesen, aber dennoch war es keine
leichte Aufgabe, sich, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, durch die immer dichter
werdende Bebauung hindurch zu stehlen. Am hinteren Rand des
Kaufhausparkplatzes stand ein Sammelbehälter der Heilsarmee voller
ausrangierter Möbel und beschädigtem altem Kram. Sie ging um den Container
herum. Viele Leute fischten sich die besten Sachen aus den Behältern heraus und
ließen nur den Abfall zurück. Sie brauchte einen sicheren Platz, um ihre Sachen
zu verstauen. Die Dinge jedoch in dem Sammelbehälter zu verstecken, kam nicht
in Frage.
Sie schlich sich an die Rückseite des Gebäudes heran und achtete darauf, sich im
tiefen Schatten zu bewegen. Neben der Laderampe lag ein großer Stapel
Pappkartons. Das wäre ein ideales Versteck gewesen, leider aber war es hell
erleuchtet. Sie ging weiter bis zur Gartenabteilung. Dort lagerten Blumentöpfe,
und Rasensaat war säckeweise gegen einen Maschendrahtzaun gestapelt. Das
Tor war über Nacht verschlossen, ein paar Kunden aber wagten sich immer noch
in die Kälte hinaus, um sich die neuesten Blumenkübel anzusehen.
Sie duckte sich hinter einem Haufen Grassäcke ab und lehnte die Plastiktasche
vorsichtig gegen den Zaun. Der Boden war schwarz und der Schatten so dunkel,
dass die Tasche praktisch unsichtbar war, wenn nicht gerade jemand
buchstäblich darüber stolperte. Ein mulmiges Gefühl beschlich sie bei der
Vorstellung, ihren Computer zu verlieren. Sie kroch noch einmal zurück und sah
sich sorgfältig um, ob sie jemand beobachtete. In den Bäumen und Büschen
hinter ihr zirpten die Grillen. Daraus schloss sie, dass dort niemand herumstand.
Eau Claire ist nicht Minneapolis, ermutigte sie sich. Minneapolis-St.Paul war mehr
als sechsmal so groß. Auch in dieser Stadt gab es Diebe, Drogenabhängige und
Obdachlose, dennoch war ein Überfall hier weitaus weniger wahrscheinlich. Der
Parkplatz war kein wirklich geeigneter Ort, um illegale Geschäfte zu betreiben,
erst recht nicht so kurz vor Ladenschluss.
Sie durfte nicht länger zögern. Entschlossen stand sie auf und ging um den
eingezäunten Bereich herum. Ohne nach hinten zu blicken überquerte sie
aufrecht und vollkommen selbstverständlich den Parkplatz. Schließlich war sie
kein Dieb, sondern wollte im Gegenteil mit dem Geld in ihrer Tasche etwas
kaufen.
Ein Angestellter stand an der Eingangstür und musterte die eintreffenden
Kunden. Er warf Grace einen skeptischen Blick zu und lief hinter einen der
Verkaufstresen. Offenbar wollte er unauffällig veranlassen, dass sie beobachtet
wurde.
Sie zog einen Einkaufswagen aus der Reihe hervor. Wenn sie beobachtet werden
sollte, so war ihr das vollkommen gleichgültig.
»Verehrte Kundinnen und Kunden«, verkündeten die Lautsprecher. »In fünfzehn
Minuten schließen wir unsere Türen. « Grace schob ihren Wagen hastig in
Richtung Damenbekleidung. Ein paar Jeans in ihrer Größe, ein Sweatshirt, eine
Baumwolljacke, und schon rannte sie in die Miederabteilung, wo sie Unterhosen
und Socken holte. Sich an den Hinweisschildern orientierend, ortete sie in der
hintersten Ecke die Schuhabteilung. Im Vorbeigehen schnappte sie sich in der
Herrenabteilung noch eine Baseballmütze.
In der Schuhabteilung entschied sie sich eilig für ein paar Turnschuhe, die zum
Laufen besser geeignet waren als ihre bereits ziemlich abgelaufenen Slipper.
Danach suchte sie eine Handtasche. Die Koffer- und Taschenabteilung befand
sich zwischen der Sport- und Drogerieabteilung neben dem Eingang. Grace
betrachtete die angebotenen Gepäckstücke und wählte den billigsten
mittelgroßen Seesack. Auf dem Weg zur Kasse warf sie noch eine Zahnbürste,
Zahnpasta und Haarshampoo in ihren Wagen. Fünf Minuten nach Betreten des
Ladens schob sie den Wagen an die Kasse. Sie blickte sich nicht um, ob sie
jemand beobachtete. Um die Kassen stapelten sich Kaugummi und Süßigkeiten.
Ihr Magen grummelte beim Anblick der Sachen. Sie musste etwas essen, und sie
liebte Schokolade. Dennoch wurde ihr allein bei dem Gedanken an Süßigkeiten
übel. Sie schluckte.
Erdnüsse dagegen waren nicht
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