Wie Tau Auf Meiner Haut
«
»Richtig. «
»Die hatte sie jetzt aber nicht bei sich. «
»Die muss sie irgendwo versteckt haben. Du meinst, sie wird sie holen gegangen
sein? «
»Zweifellos. Sie muss sie hier irgendwo ganz in der Nähe versteckt haben,
allerdings an einem Platz, der ihr sicher genug erschienen war. «
»Was machen wir jetzt? «
»Wir kehren zu unseren Beobachtungspunkten zurück und hören auf, unsere
Absichten in der Öffentlichkeit zu diskutieren. «
»Ja, gut. «
In unmittelbarer Nähe wurde ein Wagen angelassen, vermutlich der beige
Dodge, doch Grace rührte sich nicht. Die Abfahrt konnte auch nur ein Trick sein.
Vielleicht parkten sie ganz in der Nähe und warteten darauf, dass sie aus ihrem
Versteck auftauchte. Auf dem kalten Asphalt liegend, hörte sie die Kunden
kommen und gehen. Ihr Adrenalinspiegel sank wieder ab und machte sie
schläfrig. Durch den dicken Pullover war ihr jetzt wärmer als während der
vergangenen drei Tage. Ihre Augenlider wurden schwer, sie kämpfte gegen die
Müdigkeit. Schlaf hätte sie gut brauchen können, sie durfte aber in ihrer
Wachsamkeit nicht nachlassen.
Darum scherte sich ihr Körper allerdings wenig. Drei Tage ohne Schlaf, ohne
Essen, mit gelegentlichen Schreckenserlebnissen und einer immerwährenden
tiefen Verzweiflung hatten an ihren Kräften gezehrt. Sie war kurz davor,
zusammenzubrechen. Vergeblich kämpfte sie gegen den Schlaf an.
Der Supermarkt schloss um Mitternacht. Das plötzliche Erlöschen der
Parkplatzbeleuchtung weckte sie. Als sie aus dem Schlaf aufschreckte, wusste sie
nicht mehr, wo sie war. Ihre Umgebung war ihr vollkommen fremd, sie lag dicht
neben etwas Schwerem und Dunklem. Es roch scheußlich, wie Maschinenöl: Sie
lag unter einem Auto. Plötzlich erinnerte sie sich und schaute sich panisch um.
Aber niemand verließ den Laden. Die Angestellten würden erst ihre Kassen
abrechnen und möglicherweise noch etwas saubermachen müssen, ehe sie nach
Hause fahren konnten.
Obwohl sie wusste, wie spät es war, hätte sie nicht sagen können, wie lange sie
schon unter dem Auto gelegen hatte. Ihre eigene Sorglosigkeit ängstigte sie.
Was wäre passiert, wenn der Eigentümer des Autos aus irgendeinem Grund
früher mit der Arbeit aufgehört hätte?
Mach dir keine unnötigen Sorgen, ermahnte sie sich, als sie ihre Besitztümer
zusammensammelte und unter dem Auto hervor kroch. Sie hatte ohnehin schon
genügend Sorgen und brauchte sich nicht zusätzlich wegen etwas zu ängstigen,
das gar nicht passiert war.
Hoffentlich war genügend Zeit verstrichen, um die Hoffnungen ihrer beiden
Verfolger, sie auf dem Parkplatz anzutreffen, zu zerschlagen. Länger konnte sie
nicht mehr bleiben. Es war jetzt dunkler geworden, weil nur noch wenige Autos
auf den Straßen waren. In den Wohnungen brannte kein Licht mehr, die Läden
hatten geschlossen.
Vor Kälte und von der eingezwängten Lage waren ihre Glieder ganz steif
geworden. Sie bewegte sich langsam und geduckt, damit man sie hinter den
geparkten Autos nicht sehen konnte. Hinter den verbliebenen Autos war nur noch
die gähnende Leere des Parkplatzes. Sie legte einen Schritt zu, fast schon rannte
sie. Die Gepäcktasche schlug ihr gegen die linke, die Einkaufstüte gegen die
rechte Hüfte. Sobald sie den Zaun hinter sich gelassen hatte, tauchte sie in den
Schatten ein und verschwand in der nächtlichen Dunkelheit.
Kapitel 6
Grace hatte sich vorgenommen, in eines der Häuser einzubrechen.
Sie hatte sich noch vor Tagesanbruch ein Versteck in einem nicht so vornehmen
Wohnviertel ausgesucht, in dem keine Sicherungssysteme oder neugierige
Nachbarn zu erwarten waren. Sie hatte sich die Häuser genau angesehen und
eines ausgewählt, vor dem kein Spielzeug und keine Fahrräder lagen und auch
keine Schaukeln im Garten aufgestellt waren. Sie wollte ein Haus finden, in dem
es keine Kinder gab, in dem die Frau und der Mann beide arbeiteten und in dem
niemand tagsüber zu Hause war. Kinder würden die Sache nur noch schwieriger
machen, sie konnten plötzlich krank werden und so den vorgesehenen
Tagesablauf durcheinander bringen.
Mit Beginn der Dämmerung wurde es in den Häusern lebendig, die Fenster waren
auf einmal erleuchtet, die gedämpften Klänge der Radios und der Fernseher
drangen durch die Mauern nach draußen. Der Geruch von Kaffee und geröstetem
Speck wehte ihr in die Nase. Sie wusste nicht, welcher Wochentag es war, ob
Wochentag oder Wochenende, ob die Kinder in die Schule
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