Wie Tau Auf Meiner Haut
ein geeigneter Kandidat im Weißen Haus saß. Statt dessen würde der
Präsident zu ihm kommen, ebenso alle anderen angeblichen Herrscher auf der
Welt.
Seit Jahren bereits stand die Stiftung in den Startlöchern und wartete nur darauf,
dass die Papiere gefunden wurden. Es war ein großes Glück, dass die Dokumente
unter seiner Ägide gefunden wurden. Weniger glücklich war der Umstand, dass
ein Dummkopf in Frankreich sie aus den Händen gegeben hatte. Diese
Dokumente waren gleichbedeutend mit Macht. Mit unglaublicher Macht sogar.
Die ganze Welt würde er in der Hand haben und sie nach seinem Gutdünken
manipulieren. Offiziell würden das Geld und die Macht natürlich der Stiftung
dienen und dann an seinen Nachfolger weitergegeben werden, aber er konnte
beides sein Leben lang nutzen. Ein einfältiger Mann würde die sich daraus
ergebenden Möglichkeiten nicht begreifen. Solcherlei Einschränkungen
behinderten Parrish allerdings nicht.
Er hatte keinerlei Interesse daran, auf einem bestimmten Posten zu sitzen,
weder auf dem des Präsidenten noch auf dem des Premierministers, noch wollte
er Kriege führen. Krieg war reine Zeitverschwendung, ein riesiger Aufwand für
zuwenig Gewinn. Die Zeit war vorbei, da man fremde Länder erobern konnte,
heutzutage bedeutete Krieg nichts anderes mehr als Zerstörung. Nur Geld
bedeutete wirkliche Macht, wie Calla bereits bemerkt hatte. Wer auch immer das
Geld kontrollierte, der kontrollierte auch die Marionetten, die im
Scheinwerferlicht auf der Bühne standen und vorgaben, dass sie es waren, die
die Macht innehatten.
Die Dokumente in Graces Besitz führten zu grenzenloser Macht und zu
uneingeschränktem Reichtum. Jahrhundertelang war überliefert worden, dass die
Tempelbrüder über irgendeine Zauberkraft verfügten, ähnlich lachhaft wie die
Sache mit der Bundeslade. Aber anders als manch anderes Stiftungsmitglied
mokierte sich Parrish über diese Vorstellung: Wenn der Tempelorden tatsächlich
über magische Kräfte verfügt hatte, wie konnte er dann so leicht durch Verrat
zerstört werden? Offenbar war die einzige Macht, die sie besaßen, materieller
Art. Es war ein unermesslicher Schatz, der jeden König neidisch gemacht und
schließlich ihr Ende bedeutet hatte. Daran war nichts Magisches, obwohl im
vierzehnten Jahrhundert das schiere Ausmaß des Schatzes jenseits aller
Vorstellungskraft gelegen haben musste und deshalb eben durch Zauber erklärt
wurde. Die Leute waren damals abergläubische Tölpel gewesen. Parrish jedoch
war das ganze Gegenteil.
Sentimental war er auch nicht. Wenn Calla ihn mit ihrem nicht geringen Maß an
Charme einwickeln wollte, dann würde er sie enttäuschen müssen.
»Ich möchte mit der Stiftung arbeiten«, sagte Calla, als er weiter schwieg und
sein kalter Blick ihr Gesicht fixierte. »Mein Wissen ist um einiges nützlicher als
das von Skip. «
»Niemand arbeitet mit der Stiftung«, verbesserte sie Parrish. »Das korrekte Wort
lautet für. «
»Und was ist mit dir? « stichelte sie weiter.
Er zuckte mit den Schultern. Er war die Stiftung auf Lebenszeit, aber das musste
sie nicht unbedingt wissen. Es war ohnehin nicht nötig, dass er überhaupt mit ihr
redete. Natürlich wäre es angenehm, sie in der Stiftung unter seinem Kommando
zu haben und sie so lange herumzukommandieren, bis er ihrer müde wurde.
Aber er würde nicht jemanden von ihrer Intelligenz und ihrer
Durchsetzungskraft, dazu noch ganz und gar skrupellos, so nah an das Zentrum
der Macht lassen. Er würde ständig auf der Hut sein müssen.
Sie benetzte ihre Lippen und fixierte ihn. »Weißt du, was ich glaube? « schnurrte
sie. »Ich glaube, dass du der Mittelpunkt des Ganzen bist. Ein Mann mit deinem
Einfluss könnte doch alles tun und alles haben, wonach ihm verlangt. Und ich
könnte dir helfen, es zu bekommen. « Sie war wirklich schlauer, als ihr zuträglich
war. Mit drei Schritten stand er neben ihr und lächelte in der Dunkelheit auf sie
herab. Calla stand regungslos. Ihr perfekt gemeißeltes Gesicht wurde durch das
Licht aus dem Arbeitszimmer beleuchtet.
Wieder benetzte sie unbewusst und wie eine Katze ihre Lippen.
»Hier? « flüsterte sie. »Man wird hier mit Teleskopen beobachtet, weißt du das?
«
Er hielt inne. Wenn er lediglich mit ihr schlafen wollte, dann wäre es ihm
gleichgültig, wer ihn dabei beobachtete. Da sie danach aber einen längeren
vertikalen Spaziergang machen würde, war ihm an Zeugen nicht
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