Wie Viel Bank Braucht der Mensch?
anderen gegenüber – was erklären könnte, warum wir zeitgleich über enorme Vermögen und atemberaubende Schulden staunen.
Banken als Schuldenmaschine
Noch nie hatten die Deutschen so viele Schulden wie derzeit. Beim Staat sind das allein zwei Billionen Euro. Noch nie lag zeitgleich das private Bruttovermögen so atemberaubend hoch. Allein mit ihrem Geldvermögen von knapp 5 Billionen Euro könnten die Betroffenen alle Schulden ihres Staats zweimal abbezahlen – oder nur einmal, und dann wären sie immer noch halb so reich. Zur Erinnerung: Das reichste Zehntel besitzt zwei Drittel der Vermögen. Nimmt man Immobilien- und andere Sachvermögen von noch mal vier bis fünf Billionen dazu, würde das Geld sogar reichen, um die Staatsschuldenaller Euro-Staaten (8 Billionen) mit abzutragen – was, zugegeben, bei uns sicher nicht zum Wahlkampfrenner taugt. Und zudem voraussetzt, dass es Leute gibt, die den aktuellen Inhabern der Staatsanleihen das Zeug auch abkaufen. Womit wir beim Problem sind. So viel Schulden, so viel Vermögen. Reiner Zufall?
Für jeden Einzelnen ist die Sache ziemlich klar. Wer sein Vermögen steigern will, spart, nimmt das Geld dann mit zur Bank und lässt es arbeiten. Sprich: Er kauft Aktien, Fonds oder sonst was. Und wenn die Kurse dieser Anlagen steigen, steigt auch das Vermögen, zumal es nebenbei ja auch noch Dividenden gibt. In den goldenen Zeiten schien die Sache auch ein Selbstläufer zu sein. Da gab es zwar gelegentlich ein paar Absacker an der Börse. Im Trend ging es aber stark bergauf. Wer in den 80er oder 90er Jahren angefangen hat, Aktien zu kaufen, hat selbst nach der Großen Finanzkrise noch gewonnen. Im Herbst 2012 lag der DAX mit gut 7 000 Punkten immer noch 14-mal höher als Anfang der 80er Jahre.
Das Problem liegt darin, dass nicht immer für alle gut ist, was dem Einzelnen nützt. Und dass die Sache eine Kehrseite hat, die vor lauter Börseneuphorie so gut wie in Vergessenheit geraten war, wie der niederländische Wirtschaftswissenschaftler Dirk Bezemer in seiner großartigen Studie »Finance and Growth« aus dem Jahr 2012 darlegt: das Prinzip doppelter Buchführung. Der Kauf einer frisch ausgegebenen Aktie bedingt, dass jemand anderes diese Aktie ausgibt – und damit Verbindlichkeiten eingeht, also das Versprechen, diese Aktie wieder anzunehmen und dafür Geld (zum jeweiligen Kurs) herauszurücken. Anders als in der Realwert entstehe beim Handel mit Wertpapieren keine neue Wirtschaftsleistung, so Bezemer. Wer eine Aktie oder ähnliches kauft, muss dafür entweder auf sein Vermögen zurückgreifen oder sich ganz und gar verschulden.
»De facto ist der Handel mit Vermögenswerten ein Nullsummenspiel«, so Bezemer: »Buchhalterisch müssen die Vermögen den Verbindlichkeiten entsprechen.« Und diese Einsicht ändert eine Menge, wenn es darum geht, die Vermögensexplosion in der vermeintlich wunderbaren Finanzglobalisierung einzuordnen. Dann bedeute jeder Wertzuwachs oder Aktienkursanstieg, dass zwar der Aktienbesitzer reicher sei oder sich so fühle, dass aber auf der Gegenseiteautomatisch die Vermögensposition schlechter werde und die Verschuldung steige. Wie wenig dem eine reale Leistung entgegen stehen muss, lässt sich daran ablesen, dass die gemessenen Vermögen seit 1980 mehr als doppelt so viel schneller gestiegen sind als das Bruttoinlandsprodukt.
»Wenn jemand einen Kapitalgewinn machen will, muss es jemanden anderen geben, der Einkommen aufgibt oder sich verschuldet«, so Bezemer. Wenn das so ist, können Finanzmärkte (nur dann) immer weiter wachsen, wenn sie entweder Geld aus dem Realsektor abziehen oder die Verschuldung steigt. »So ein Schuldenzuwachs kann dann über Jahrzehnte anhalten, indem die Vermögenswerte gemessen an der Wirtschaftsleistung einfach immer weiter expandieren.« Mit dem logischen Ergebnis, dass es tatsächlich ebenso atemberaubende Vermögen wie Schulden gibt. Nur dass beides nicht unbedingt bei denselben Leuten liegt. Und dass die Blase früher oder später platzt, wenn das Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit der Schulden schwindet.
Für eine ganze Weile sei »die Schuldenlast von der Wohlstandsillusion des Vermögenspreisbooms verdeckt worden«, so Bezemer. Dank steigender Immobilienpreise, Derivatgewinnen und ähnlichem Finanzzauber stieg das Nettovermögen der US-Haushalte vom 4,7-Fachen des verfügbaren Einkommens 1980 auf das gut 6-Fache kurz vor Ausbruch der Finanzkrise. Wenn so eine Blase platzt, implodieren die
Weitere Kostenlose Bücher