Wie Viel Bank Braucht der Mensch?
die über die Leitzinsen entscheiden und für stabile Preise sorgen sollen – doch nur für welche? Hätten sie nach dem Platzen entsprechender Finanzblasen die Zinsen tatsächlich erhöht, hätte dies (vielleicht) den Wiederanstieg der Vermögenspreise (ein bisschen) gebremst, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit verheerend auf die Investitionen in einer Realwirtschaft gewirkt, in der es gar keine Blase gab und die mangels realer Konsumdynamik eher in Deflation zu rutschen drohte. Je mehr Zinsen auf Geld gezahlt werden, destohöher müssen die Renditen sein, die Investitionen in Fabriken und Menschen versprechen, um so Geldgeber anzuziehen.
In den Jahren 2002/03 setzten die Immobilienmärkte in den USA zum Höhenflug an, was per se für steigende Zinsen gesprochen hätte. Die US-Notenbank schreckte davor nur zurück, weil die restliche Realwirtschaft immer noch von neuen Einbrüchen gefährdet zu sein schien – und weltweit die Angst vor einer Deflation kursierte, wie sie nach dem Platzen von Finanzblasen stets droht. Als Warnbeispiel galt da auch Japan, wo die Notenbank ihre Zinsen nach dem Platzen der Immobilienblase 1990 nur langsam gesenkt hatte und die Wirtschaft anschließend von jahrelanger Deflation erfasst wurde. Der Verzicht der US-Notenbank, 2002/03 die Leitzinsen stärker anzuheben, dürfte den Anstieg der Immobilienpreise beschleunigt haben. Nur hätten steigenden Zinsen umgekehrt mit einiger Wahrscheinlichkeit zu sinkenden realen Investitionen geführt, was am Ende nicht besser gewesen wäre.
Womit wir beim Ursprung der niedrigen Zinsen sind. Wenn die große Analyse stimmt, sind die Billigzinsen eher Folge einer gefährlich zwiespältigen Wirtschaftsentwicklung aus hohen Vermögenszuwächsen und relativ mäßigen Masseneinkommen und Investitionen – wobei letzteres nach allen Regeln der Ökonomie eindeutig für niedrige reale Inflationsgefahren und (Leit-)Zinsen spricht. Die Zinsen sind niedrig, weil die Realwirtschaft schwächelte – ein Krisensymptom. Was als Nebeneffekt Vermögensblasen (umso mehr) befördert, aber nicht der eigentliche Ursprung von Finanzturbulenzen ist.
Eine ähnlich zwiespältige Entwicklung gab es in den 2000er Jahren auf Globalebene. Weil Deutsche, Chinesen, Japaner und andere darauf setzten, die eigene Konjunktur vom Export treiben zu lassen, während andere sich von Vermögensbooms verwöhnen ließen und sich verschuldeten, stiegen weltweit die Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen. 6 Bei den letzteren legten Binnennachfrage und Importe zu; in den USA erreichte das Leistungsbilanzdefizit kurz vor Krisenausbruch fast 800 Milliarden Dollar oder sechs Prozentder Wirtschaftsleistung. Dem standen Länder wie Deutschland gegenüber, die ihre Binnennachfrage schwach bleiben ließen – mit dem Ergebnis, dass die Importe schwächelten und die Exportüberschüsse hochschossen: 2007 verkauften die Deutschen umgerechnet 250 Milliarden Dollar mehr in alle Welt, als die Welt bei uns einkaufte. Der chinesische Überschuss lag damals noch höher und machte fast den ganzen Rest der Kehrseite vom US-Defizit: gut 400 Milliarden Dollar.
Im Weltmaßstab muss so ein Mix zu Spannungen führen, allein wegen der gigantischen Summen, die zum Ausgleich dieser Bilanzen bewegt werden müssen. Auch hier spielen die Tücken der Finanzglobalisierung mit: Bei den einen stieg die Verschuldung, was die Entwicklung von Vermögensblasen begleitete. Bei den anderen blieben solche Exzesse zwar aus, dafür schnellten die Forderungen gegenüber dem Rest der Welt in die Höhe. Jedem deutschen Überschuss steht logischerweise irgendwo ein Defizit entgegen, also steigende Auslandsschulden – was auf Dauer nicht gut geht. Stichwort: Überschuldung.
Zugleich hatten Länder wie Deutschland plötzlich enorm viel Überschussgeld, das rund um den Globus nach Anlage suchte – auch weil es im Inland mangels Binnendynamik kaum gebraucht wurde. Von 2002 bis 2008 summierten sich die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse auf mehr als eine Billionen Euro. Macht eine Billion ausländischer Verpflichtungen – und eine Billion, die Deutsche in aller Welt anlegen konnten. Was erklärt, warum selbst die vermeintlich so soliden deutschen Banken 2007 in den Strudel der Krise gerieten, als die Blase platzte. Und warum auch bei uns die Staatsschulden wegen der Bankenrettung dramatisch stiegen. Immerhin hatten Landes- und andere Banken ihr Geld auch in lukrativ wirkende US- und spanische Immobilien gesteckt: der Herde
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