Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
Vom Netzwerk:
nicht essen«, verkündete Lenin ganz im Sinn des heiligen Paulus. Keynes folgte dem ökonomischen Denken seiner Zeit und betrachtete Arbeit als den Preis, der zu entrichten ist, um notwendige Dinge zu bekommen. Wie Adam Smith schrieb: »Der reale Preis von allem […] ist die Anstrengung und Mühe seiner Beschaffung.« Oder wie Jeremy Bentham formulierte: »Insofern Arbeit wörtlich verstanden wird, ist Liebe zur Arbeit ein Widerspruch in sich.«[ 13 ] Diese Einschätzung war nicht neu: Schon in der Bibel lesen wir, dass der Mensch dazu verdammt wurde, im Schweiß seines Angesichts zu arbeiten, weil er Gott nicht gehorcht hatte. In jüngerer Zeit hingegen hören wir immer öfter, die uralte Gleichsetzung von Arbeit mit »Anstrengung und Mühe« gelte gar nicht mehr oder immer weniger. Arbeit ist nicht länger Mühe im Sinne der Ökonomen, sondern Liebhaberei: eine Quelle der Anregung, sie vermittelt Identität, Wert und bindet den Menschen in die Gesellschaft ein. Kurzum, Arbeit ist nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern schenkt
per se
Befriedigung. Darum arbeiten die Menschen länger, als sie »müssen«.
    Apostel der Freude an der Arbeit gestehen zu, die Sicht der Ökonomen, Arbeit sei freudlose Fron, für die das Einkommen entschädige, möge für die körperlich harten, mechanischen, stupiden Tätigkeiten angemessen gewesen sein, die in der Vergangenheit die meisten Menschen verrichten mussten, aber heute sei das anders. In der »postmodernen« Zeit sei die Arbeit körperlich weniger anspruchsvoll, dafür interessanter,herausfordernder, kreativer. Das treffe besonders für qualifizierte Jobs zu und erkläre, warum gut bezahlte Arbeitskräfte häufig länger arbeiteten als gering entlohnte. Wir haben einen wachsenden »Kreativsektor« und viel mehr Entscheidungsfreiheit bei »notwendiger« Arbeit als früher. Die Menschen können sich nicht nur in ihren Produkten verwirklichen, sondern auch in ihren Tätigkeiten. Keynes, so ergänzen Kritiker noch, habe die für Bloomsbury typische Verachtung für wirtschaftliche Tätigkeit besessen und deshalb übersehen, wie viel innere Befriedigung viele Menschen schon damals in ihrer Arbeit gefunden hätten.[ 14 ]
    Es heißt, das Gegenstück zur Liebe der Arbeit sei die Angst vor der Freizeit. Oft wird gefragt: Was werden die Menschen tun, wenn sie nicht mehr arbeiten müssen? Werden sie sich betrinken und Drogen nehmen? Die Tage vor dem Fernsehapparat verbringen? Solchen Fragen liegt die Annahme zugrunde, Menschen seien von Natur aus träge und Arbeit sei nötig, um sie produktiv zu machen, sie »in der Spur zu halten« und zu verhindern, dass sie »vor die Hunde gehen«. Aber noch etwas anderes spielt eine Rolle: Arbeit ist automatisch mit Gemeinschaft verbunden, Freizeit kann erzwungene Einsamkeit bedeuten. »Mir graut’s vor jedem Wochenende«, sagt eine Frau, die Workaholic ist, in Tom Rachmans Roman
Die Unperfekten.
»Ich hätte am liebsten nie Urlaub – ich habe nämlich keine Ahnung, was ich damit machen soll. Urlaub bedeutet für mich, vier Wochen lang ständig drauf gestoßen zu werden, was für ein Versager ich bin.«[ 15 ]
    Es wäre unsinnig zu bestreiten, dass bezahlte Arbeit schon immer zumindest teilweise intrinsische Befriedigung vermittelt hat: Die meisten Menschen arbeiten nicht für Brot allein. Viele Menschen arbeiten lange, weil sie Gesellschaft haben wollen oder Schwierigkeiten, Einsamkeit, Langeweile, dem Familienalltag entfliehen möchten. Die Frage ist, ob das Element der »Freude« im Lauf der Zeit gewachsen ist. Das ist ganz und gar nicht klar. Manche Aufgaben sind interessanter geworden; die Zahl der Berufe, die auch Berufung sind – Lehrer zum Beispiel –, ist größer geworden. Oft hören wir, das Internet habe die Arbeit mehr zu einem Spiel werden lassen (selbst wenn es das Spiel mehr zu Arbeit gemachthat). Es hat auch die Gelegenheiten für Freizeit während der Arbeit vermehrt – Facebook ist nur einen Klick entfernt. Arbeitsplätze werden immer häufiger so gestaltet, dass die Beschäftigten »Spaß« haben.[ ****** ] Aber die Spezialisierung, die Adam Smith zufolge das Können bei der Arbeit überflüssig macht, hat auch dafür gesorgt, dass die Arbeit weniger befriedigend ist. »Training« für eine bestimmte Tätigkeit ist oft nur eine euphemistische Umschreibung dafür, dass etwas in mechanische Handgriffe zerlegt wird, was früher zumindest einen gewissen Grad an Wissen, Aufmerksamkeit und Engagement erforderte. Die Anforderungen

Weitere Kostenlose Bücher