Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Unternehmen im Jahr 2000 das 47-Fache des durchschnittlichen Arbeitslohns, 2010 war es das 81-Fache. Seit Ende der 1970er-Jahre sind in Amerika die Einkommen des reichsten Fünftels der Bevölkerung neunmal so schnell gewachsen wie die Einkommen des ärmsten Fünftels und viermal so schnell wie in Großbritannien.[ 21 ] Das Schaubild bestätigt, dass ein immer größerer Teil des Volkseinkommens an die Reichen fließt. Das erklärt, warum zwar das Durchschnittseinkommen in den meisten Ländern gestiegen ist, das mittlere oder Medianeinkommen – das Einkommen, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt – aber nicht Schritt gehalten hat; in den Vereinigten Staaten ist es in den letzten 40 Jahren sogar unverändert geblieben. Einer aktuellen Erhebung zufolge leben 46 Millionen Amerikaner in Armut. In Großbritannien, schreibt Larry Elliott vom
Guardian,
geht es den Angehörigen der Mittelschicht mit qualifizierten Berufen gut, vor allem im Südosten des Landes, aber die Menschen, die in der Einkommensskala direkt unter ihnen stehen, sind in die Schulden gerutscht, weil ihre Realeinkommen stagnieren. Hinter ihnen rangieren die Beschäftigten mit Mindestlohn, die steuerlich gefördert werden, damit sie über die Runden kommen. Ganz unten befinden sich die Arbeitslosen, viele davon haben bereits in der zweiten oder dritten Generation keine Arbeit.[ 22 ]
Entscheidenden Einfluss auf die Einkommensverteilung hatte in jüngster Zeit das Wachstum des Dienstleistungssektors. Ebenso stark wirkte sich aus, dass die Regierungen es versäumten, mithilfe des Steuersystems die natürliche Tendenz zu begrenzen, dass mit der Ausweitung des Dienstleistungssektors auch die Ungleichheit wächst. Beide Entwicklungen haben die weitere Reduzierung der Arbeitszeiten aufgehalten. Zu Keynes’ Zeit entfielen 80 Prozent der Produktion auf die Industrie und 20 Prozent auf Dienstleistungen. Heute ist das Verhältnis umgekehrt. Jobs im Dienstleistungsbereich werden schlechter bezahlt als in der Industrie,zum Teil weil sie nicht im gleichen Umfang automatisiert werden können – denken Sie nur an Lehrer, Krankenschwestern, Frisöre und Taxifahrer –, zum Teil auch, weil die gewerkschaftliche Organisation in dem Bereich schwieriger ist. Dass die Einkommensumverteilung in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien nicht gelungen ist, bedeutet, dass viele Menschen, die in den unteren Bereichen des Dienstleistungssektors arbeiten, vor allem im Einzelhandel, in der Gastronomie und bei Personaldienstleistern, ihre Arbeitszeiten verlängern mussten, um nicht in Armut abzurutschen.[ ******* ]
Die Soziologin Juliet Schor hat auf einen speziellen Aspekt der Tatsache, dass die Kapitalbesitzer über den Arbeitsmarkt herrschen, hingewiesen. In ihrem Buch
The Overworked American
(Der überarbeitete Amerikaner) schreibt sie, der Wettbewerbsdruck habe zusammen mit dem unzulänglichen Schutz von Arbeitnehmerrechten dazu geführt, dass Arbeitgeber lieber ihre vorhandenen Arbeitskräfte stärker belasteten, als die Arbeit auf eine größere Zahl von Arbeitnehmern zu verteilen, denn Letzteres würde zusätzliche Kosten für Ausbildung und Verwaltung verursachen, ganz zu schweigen von Ansprüchen auf bezahlten Urlaub, Krankenversicherung und dergleichen. »Für ein Unternehmen ist es sehr viel profitabler, eine kleinere Anzahl Leute viele Stunden arbeiten zu lassen, statt die Arbeitszeit auf mehr Leute zu verteilen (die auch noch Sozialleistungen bekommen würden).«[ 23 ] Die Folge sei ein gespaltener Arbeitsmarkt mit einem schrumpfenden Kern von Arbeitnehmern mit unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnissen, die wahrscheinlich mehr arbeiten, als sie wollen, und einer großen Peripherie von Arbeitslosen und Teilzeitbeschäftigten, die weniger arbeiten, als sie wollen, und deren Einkommen aufgestockt werden müssen, um sie überhaupt in Arbeit zu halten.
In dieser Darstellung ist der Konsum eine Beruhigungspille für Arbeitnehmer, denen die Freizeit vorenthalten wird, die sie so sehr begehren.Um ihre Frustration zu lindern (und sie gefügig zu halten), überschüttet man sie mit einer Flut nutzloser, geistloser Konsumgüter. Einkaufen wird spöttisch, aber zutreffend, als »Einzelhandelstherapie« bezeichnet – Kompensation für unangenehme, deprimierende Erfahrungen. Künstlich erzeugte Bedürfnisse sorgen dafür, dass die Arbeitnehmer der Arbeitsethik treu bleiben. Wie Schor es in ihrem Aufsatz »Towards a
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