Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Menschen, die begabt sind, aber nicht reich, härter arbeiten, um den Status zu erlangen, den früher Menschen, die reich waren, aber nicht begabt, mühelos einnahmen. Die Umkehrung der traditionellen Beziehung zwischen Arbeit undEinkommen ist ein guter Grund, zu vermuten, dass wir keineswegs auf eine Zukunft ohne Arbeit zusteuern.
4. Arbeitszeit seit 1983
Quelle: OECD-Beschäftigungsausblick 2011.
Drittens sind die Arbeitsstunden pro Jahr stärker gefallen als die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche, weil aufs Jahr gesehen auch Urlaub mit eingerechnet wird. In Europa hat sich der Anspruch auf bezahlten Urlaub seit Keynes’ Zeit von einer Woche auf vier Wochen im Jahr verlängert – ein klarer Gewinn an Freizeit. Doch dieser Gewinn wird durch immer längere Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz wieder aufgehoben. Erstaunlicherweise verschlingt auch die Hausarbeit pro Tag heute eine halbe Stunde mehr als 1961, trotz all der neuen technischen Geräte, die sie erleichtern.[ *** ] Aber
zusätzlich
zur Hausarbeit sind heute sehr viel mehr Frauen als zu Keynes’ Zeit berufstätig; die hoheNachfrage nach Arbeitskräften in der Nachkriegszeit hat Frauen auf den Arbeitsmarkt gelockt, und es sind Berufswege für sie entstanden. In den Vereinigten Staaten lag der Anteil der berufstätigen Frauen 1930 bei 25 Prozent, heute liegt er bei 70 Prozent, in anderen Industrieländern ist der Trend ähnlich.[ 10 ] In der modernen Version droht Keynes’ Hausfrau eher nicht ein Nervenzusammenbruch durch Langeweile, sondern durch den Stress, Beruf, Einkaufen (einschließlich des Wegs zum und vom Supermarkt und des Anstehens an der Kasse) und Kindererziehung[ *** ] (einschließlich der Beaufsichtigung beim Spielen, die es früher nicht gab, und der Fahrdienste hin zur Schule und wieder zurück) unter einen Hut zu bekommen.[ 11 ]
Weiterhin ist zu bedenken, dass die Statistiken zu Arbeitszeiten, ob pro Woche oder pro Jahr, nur Menschen berücksichtigen, die berufstätig sind, und nicht die Ausbildungszeiten miteinbeziehen und den immer längeren Zeitraum zwischen Berufsleben und Tod, der als Ruhestand bezeichnet wird. Soll man die Jahre in der Ausbildung der Arbeitszeit oder der Freizeit zurechnen? Vermutlich hängt das davon ab, um was für eine Art von Ausbildung es sich handelt. Wenn es wie heute meistens die Ausbildung für einen bestimmten Beruf ist, könnte man sie der Arbeit zuschlagen; wenn es die Vorbereitung auf ein gutes Leben ist, sollten sie als Freizeit zählen.
Der Ruhestand gilt schon selbstverständlicher als Teil der Freizeit, seine Verlängerung könnte man darum den Chancen auf ein gutes Leben hinzurechnen. 1948 arbeiteten Männer in Großbritannien im Durchschnitt bis zum 65. Lebensjahr und starben zwei Jahre später. Heute gehen sie mit 67 Jahren in den Ruhestand und leben dann noch elf Jahre. Es ist sicher falsch, so viel freie Zeit in den letzten Lebensjahren zu konzentrieren.Zum einen können sich die Menschen in ihrem Arbeitsleben nicht genug auf die kommende freie Zeit vorbereiten, zum anderen lässt möglicherweise ihre Fähigkeit, sich zu freuen, mit dem Alter nach. Und wir können auch nicht schlussfolgern, dass die Freizeit für die Gesellschaft insgesamt mehr wird, einfach weil die Menschen länger leben. Denn die Möglichkeiten, Einkommen anzusparen, haben mit den steigenden Kosten des Ruhestands – Kosten durch die längere Lebenszeit und Kosten der medizinischen Versorgung – nicht Schritt gehalten.[ **** ] Die Lebensarbeitszeit steigt unerbittlich an, die Politik unterstützt diesen Trend mit entsprechenden Gesetzen. Der Kollaps der privaten Rentenkassen der einzelnen Haushalte wird unweigerlich die Jahre des Ruhestands verkürzen, sofern nicht der ungesunde Lebensstil in den reichen Ländern die Lebenserwartung beeinträchtigt und damit zum selben Ergebnis führt.
Aber so sehr wir die Durchschnitte hinterfragen, das Rätsel bleibt: Uns Menschen in der reichen Welt geht es im Durchschnitt vier- bis fünfmal so gut wie 1930, doch die Arbeitszeit ist seit damals nur um ein Fünftel gefallen.
Bevor wir überlegen, warum Keynes’ Voraussage, die Arbeitszeit werde gegen Null sinken, nicht eingetroffen ist, könnten wir die Frage stellen, ob Keynes selbst seine Voraussage für plausibel hielt. Warum dachte er, die Menschen würden umso weniger arbeiten wollen, je mehr Einkommen sie haben? Und warum hielt er das Vierfache oder Achtfache für »genug«? Warum nicht das Zwei- oder Dreifache oder
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