Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
an die Fähigkeiten des Handwerkers, Mechanikers, Bauarbeiters, Metzgers und Bäckers haben abgenommen; ein großer Teil der Arbeit ist reine Routine, buchstäblich betäubend. Die Arbeitsabläufe in modernen Supermärkten und Callcentern hat man als »digitalen Taylorismus« bezeichnet im Gedenken an den Erfinder des Fließbands.[ 16 ] Drastische Kostenreduzierungen haben die »face time«, wie der persönliche Umgang heute heißt, stark vermindert. Die angebliche »Kreativität« ist heute bei vielen Aufgaben nur ein Werbeslogan. »Engagierte Köche sind jeden Tag mit viel Leidenschaft kreativ«, heißt es in der Werbung einer bekannten Fast-Food-Kette. Selbst bei Top-Finanzmanagern rangiert »die Freude an der Arbeit« erst mit einigem Abstand auf Platz zwei hinter dem Gehalt und Bonuszahlungen.[ 17 ] Die Bereitschaft von Spitzenverdienern, länger zu arbeiten als früher, zeugt womöglich nicht von mehr Interesse an ihrer Arbeit, sondern von größerer Unsicherheit ihrer Einkommen. Ein kleiner Teil der beruflichen Tätigkeiten und einzelne Aspekte davon sind vielleicht wirklich reizvoller geworden, aber das meiste ist so ungeliebt wie eh und je.
Trotz der beschworenen Freude an der Arbeit und Angst vor Untätigkeit würden immer mehr Arbeitnehmer in den Industrieländern, auch in den Vereinigten Staaten, lieber weniger arbeiten als mehr. Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung zu künftigen Arbeitsformen zeigt, dass der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten sehr verbreitet ist, selbst wenn das weniger Gehalt bedeutet: 51 Prozent der Befragten wünschten sich weniger Arbeitsstunden, nur 12 Prozent mehr.[ 18 ] Ähnliche Ergebnisse fand man in Japan. In den Vereinigten Staaten liegen die Zahlen etwas näher beieinander, aber auch dort hätten die Arbeitnehmer lieber kürzere als längere Arbeitszeiten (37 Prozent gegenüber 21 Prozent).[ 19 ] Natürlich darf man nicht davon ausgehen, dass die Menschen tatsächlich so handeln, wie sie sagen, dass sie in einer hypothetischen Situation handeln würden. Trotzdem bleibt eine Präferenz für kürzere Arbeitszeiten.
Mehr Freude an der Arbeit oder Angst vor Untätigkeit mag Teil der Erklärung sein, warum die Arbeitszeiten nicht weiter abnehmen, aber es ist sicher nicht die wichtigste Erklärung. Der Fluch des alten Adam ist vielleicht nicht mehr so drückend, doch immer noch da.
Der Druck zu arbeiten
Marxisten sagen seit eh und je, im Kapitalismus seien die Arbeiter gezwungen, länger zu arbeiten, als sie entsprechend ihren Bedürfnissen oder Begierden müssten, weil sie »ausgebeutet« würden – das heißt, sie bekämen nicht so viel Geld, wie ihre Arbeit den Arbeitgebern wert sei; möglich werde dies, weil die Arbeitgeber den Arbeitsmarkt kontrollierten. Das bedeutet, dass den Arbeitern der volle Gewinn aus Produktivitätszuwächsen vorenthalten wird. In den »sozialdemokratischen Jahren« Mitte des 20. Jahrhunderts gelang es starken Gewerkschaften, Erhöhungen der Reallöhne durchzusetzen, und der Staat nutzte das Steuersystem zur Umverteilung von Einkommen, das nicht aus Arbeit stammte, von den Reichen zu den Armen. Aber diese Maßnahmen für mehr Gleichheit schmälerten die Gewinne und belasteten die Reichen.
In den 1980er-Jahren setzte eine Gegenbewegung ein, und zur gleichenZeit endete auch der Trend zu kürzeren Arbeitszeiten. Die Erklärung, warum die Arbeitszeit nicht weiter zurückging, liegt auf der Hand: Die Arbeitnehmer reduzierten ihre Arbeitsstunden nicht weiter, weil sie die realen Einkommenszuwächse nicht erzielten, die es ihnen erlaubt hätten, weniger zu arbeiten. Die Arbeitnehmer können ihren eigenen Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit suchen, aber nur im Rahmen eines Systems, in dem die Kapitalbesitzer das Sagen haben.
5. Einkommensanteil der reichsten 1 Prozent der Bevölkerung
Quelle: World Top Incomes Database ( http://topincomes.g-mond.parisschoolofeconomics.eu ).
Die Daten zeigen, dass die Ungleichheit bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien seit 1980 stark zugenommen hat; dabei haben die Reichen am meisten von den Produktivitätszuwächsen profitiert (siehe Schaubild 5).
Im großen Ganzen sind die Zahlen bekannt: 1970 verdiente ein amerikanischer Spitzenmanager knapp das 30-Fache eines durchschnittlichen Arbeitnehmers, heute ist es das 263-Fache.[ 20 ] In Großbritannienbetrug die Grundvergütung der Vorstände der im wichtigsten britischen Aktienindex FTSE notierten
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