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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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oder Stufen innerhalb einer Hierarchie betrachtet wurden, sondern als separate, dabei aber komplementäre Lebenssphären. »Im Amt ein Konfuzianer, im Ruhestand ein Taoist«, lautet ein wohlbekanntes chinesisches Sprichwort, womit – eine typisch chinesische Lösung – ein logischer Widerspruch in einer ästhetischen Harmonie aufgelöst wird.
    Konfuzius’ Ideal war das des gebildeten Beamten. Der »Edelmann« oder »Edle«, wie sein Ausdruck im Allgemeinen übersetzt wird, sollte Kalligrafie, Musik, die Dichtkunst und vor allem das
Li
studieren, die rituellen Regeln des Anstands und der Verhaltensformen, sodass er dem Staat mit Integrität und Weisheit dienen kann. Konfuzius’ Ziel war der umfassend kultivierte Mensch, nicht technisches Expertentum. »Der Edle«, brachte Konfuzius das in einem berühmten Ausspruch auf den Punkt, »lässt sich nicht wie ein Werkzeug behandeln.«[ 19 ] Das konfuzianische Ideal des gelehrten Dilettantismus wurde später im System der kaiserlichen Beamtenprüfung festgeschrieben, in China von 605 bis 1905 der einzige Weg zu einem öffentlichen Amt. Dieses Monument des bürokratischen Zentralismus stellte für über ein Jahrtausend sicher, dass es sich bei den höchsten Beamten des Staates um Männer handelte, die in traditioneller Dichtkunst und Philosophie sehr gebildet, in anderen Dingen aber kaum beschlagen waren – ein wichtiger Grund für den Kollaps Chinas in den letzten Jahren der Qing-Dynastie.
    Die Ausbildung eines konfuzianischen Gelehrtenbeamten war ein einschüchterndes Unterfangen. Jahrzehnte waren erforderlich, bis der Kandidat die klassischen Texte memoriert und die Feinheiten des »achtgliedrigen Aufsatzes« erlernt hatte, und selbst dann war ein Erfolg noch keine ausgemachte Sache. Dessen ungeachtet war es der Traum einer jeden Handels- oder Adelsfamilie, einen Sohn erfolgreich durch die kaiserlichen Beamtenprüfungen zu bringen, denn ein öffentliches Amt ging mit einem unermesslich höheren Ansehen einher als jede private Stellung, mochte sie auch noch so einträglich sein. »Die zehntausend Berufe sind allesamt unedel«, lautet in China ein bekanntes Sprichwort, »edel ist nur das Studium.« Hier finden wir wieder die auch im Westen und Indien bekannte Vorstellung einer qualitativen Kluft zwischen »höheren« und »niederen« Lebensweisen, eine Kluft, die mit Geld gleich welcher Menge nicht zu überbrücken ist. Unnötig zu erwähnen, dass in der Praxis Beamtenstellungen weniger wegen des damit verbundenen Glanzes begehrt waren, als vielmehr wegen der damit verbundenen Möglichkeiten, Bestechungsgelder abzukassieren, und eine umfassende Bildung lediglich als notwendige Mühsal auf dem Weg dorthin betrachtet wurde. Dennoch behielt das
Ideal
des an weltlichen Dingen desinteressierten Gelehrtenbeamten ungebrochen seine Strahlkraft und sorgte so dafür, dass kommerzielle Werte die chinesische Gesellschaft niemals gänzlich dominieren konnten.
    Wenn der chinesische Mandarin seines Amtes enthoben wurde, was oft der Fall war, wendete er sich auf der Suche nach Trost der alternativen taoistischen Tradition zu. Wenn der Konfuzianismus nüchtern und realistisch ist, dann ist der Taoismus poetisch und idealistisch. »Ach, dieses schwebende Leben, wie ein Traum«, lautet eine Zeile des Poeten Li Bai. »Wahre Glückseligkeit ist so selten.«[ 20 ] Die taoistische Stimmung ist wehmütig, aber nicht tragisch, denn auch wenn nichts von Dauer ist, so lassen sich doch Momente der Schönheit aus dem Fluss der Zeit lösen. Darin, diese Momente zu genießen, besteht im Taoismus die Kunst des Lebens. Der Geist der Lehre ist auf schöne Weise in den »Dreiunddreißig glücklichen Augenblicken« eingefangen, die der Kritiker Chin Shengtanim 17. Jahrhundert verfasste, als er mehrere Tage mit einem Freund in einem Tempel festsaß. Hier sind fünf davon:
    Ich habe nach Tisch wieder einmal nichts zu tun und beschäftige mich damit, die Dinge in alten Koffern und Schubladen durchzugehen. Da finde ich dutzend- und hundertweise Schuldscheine von irgendwelchen Leuten, die meiner Familie Geld schulden. Manche von den Schuldnern sind schon gestorben, die anderen leben noch, aber so oder so besteht keine Hoffnung, dass sie das Geld je zurückzahlen. Da schichte ich hinter dem Rücken der Meinen die Papiere zu einem Haufen zusammen und zünde ein kleines Freudenfeuer an, schaue in den Himmel und sehe, wie das letzte Wölkchen Rauch verschwindet. Ist das vielleicht nicht Glück?
    Ich wache morgens

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