Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Klasse stand, verhinderte die Entstehung einer offen kommerziell ausgerichteten Weltsicht entsprechend westlicher Linien. In Indien konnte das Geld, so viel Gewicht ihm in der Praxis auch zugekommen sein mochte, niemals zum höchsten Schiedsrichter des Wertes werden.
Schließlich klingt in den Dharmasutren auch die aus dem Westen bekannte Verurteilung der Unersättlichkeit an. Die Sehnsucht nach Reichtum ist so unausrottbar wie die nach ewigem Leben und ebenso vergebens: »Wenn der Mensch alt wird, zeigen sein Haar und seine Zähne die Zeichen des Alters. Die Sehnsucht nach dem Leben und nach Reichtum jedoch zeigen keine Zeichen der Alterung, selbst wenn der Mensch altert. Die Sehnsucht! Den Toren fällt es schwer, davon zu lassen. Sie wird nicht schwächer mit dem Alter. Sie ist eine lebenslange Krankheit. Der Mann aber, der sie aufgibt, findet das Glück.«[ 16 ] Hier allerdings hören die Parallelen zwischen Ost und West auf. In der westlichen Tradition ist die Habgier eine Perversion oder ein irregeleitetes Verlangen; die Brahmanen sehen darin einen Ausdruck der dem Streben an sich innewohnenden sklavischen Abhängigkeit. Während uns also Aristoteles und Thomas von Aquin nahelegen, unser Begehren vom Objekt des Begehrens abhängig zu machen, lehrt die hinduistische Religion, sich von Wünschen ganz frei zu machen. »Wer ohne Wünsche ist, wer befreit ist von Wünschen […] wird […] unmittelbar Brahman.«[ 17 ] Dieses Ideal, uns besser bekannt unter seinem buddhistischen Namen
Nirvana,
weist zwar einige Ähnlichkeit mit dem stoischen Ideal der
Apatheia
beziehungsweise der Gelassenheit auf, kennt ansonsten aber keine Entsprechung in der westlichen Welt.
Indien und China erscheinen dem trägen europäischen Auge häufig als Hüter einer gemeinsamen »fernöstlichen Weisheit«, tatsächlich aber sind die beiden Zivilisation einander fast ebenso fremd wie jede von ihnen denen des Westens. Die Hochkultur im alten China war – wie die in Griechenland und Rom und im Gegensatz zu der im brahmanischen Indien – vereinheitlicht und fest im Diesseits verankert. Somit konnte sie etwas in der Art einer »Ethik« im westlichen Sinne hervorbringen – eine freie, rationale Suche nach dem Guten im Menschen. Worin sich die chinesischen Denker von den westlichen
und
indischen Philosophen unterschieden, war ihre Indifferenz gegenüber der Logik. Das Epigramm, fragmentarisch und poetisch, war ihr bevorzugtes Ausdrucksmittel. Für die von den Scholastikern und den indischen Metaphysikern so geliebten langen, ineinander verschachtelten Argumentationsketten fehlte ihnen die Geduld.[ 18 ]
Darüber hinaus unterschied sich China sowohl vom Westen wie auch von Indien darin, dass es ihm am asketischen Impuls mangelte, ja diesem sogar mit tiefem Misstrauen begegnete. In China wurden weder Handel noch Wucher stigmatisiert, noch gab es eine religiös motivierte Geringschätzung des Strebens nach Reichtum. Im Gegenteil, Geld und Gold wurden offen und (für unsere noch christlich eingefärbten Augen) nachgerade schamlos verehrt. Diese fundamental andere Einstellung ist noch heute mit Händen greifbar. In ganz China sind Geschäfte und Restaurants mit Bildern und Statuen des Gottes des Reichtums und eines fröhlichen, schmerbäuchigen Buddhas dekoriert, der so ganz anders aussieht wie sein asketischer indischer Prototyp. Geldgeschenke an Kinder werden in hübschen roten Umschlägen überreicht und mit großem Brimborium an Schreine und Götzenstatuen geheftet. Am, von einer westlichen Perspektive aus betrachtet, verwunderlichsten ist die chinesische Sitte, »Geistergeld« zu verbrennen, das dann von den Seelen der Verstorbenen im Paradies ausgegeben werden kann. Wir hingegen dürfen versichert sein, dass im himmlischen Jerusalem kein schnöder Mammon von einer Hand in die nächste wechselt.
Dabei war das alte China ungeachtet seiner Plutophilie keineswegseine Zivilisation, die sich dem Gelderwerb allein um des Gelderwerbs willen gewidmet hätte. Auch in China war, wenn auch weniger explizit wie in Indien und Europa, das Streben nach Reichtum idealen Zielen untergeordnet. Für die konfuzianische Intelligenz war Reichtum ein Mittel, mit dem sie Bildung und ein öffentliches Amt erwerben konnte, den philosophisch geneigten Taoisten erkaufte er Zeit und Muße, um ihre Erfahrungen weiter kultivieren zu können.[ ***** ] Diese beiden Ideale entsprechen ungefähr der westlichen
Vita activa
und
Vita contemplativa,
nur dass sie nicht als Rivalen
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