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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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sehr das Christentum in der klassischen Vergangenheit wurzelt, ist nirgendwo offenkundiger als in dem berühmten Dualismus von
Vita activa
und
Vita contemplativa:
dem Dualismus des tätigen und des beschaulichen Lebens. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Idealen nahm, wie wir gesehen haben, eine zentrale Stellung im antiken Denken ein, doch es war das mittelalterliche Christentum, das die Frage mit typologischer Präzision beantwortete. Die
Vita contemplativa,
gleichgesetzt mit dem mönchischen Leben, erhielt ganz klaren Vorrang, was die weltliche
Vita activa
automatisch auf den zweiten Platz verwies. Die Arbeit blieb derweil dem untergeordneten »Dritten Stand« vorbehalten. Das Mittelalter übernahm somit die beiden oben skizzierten klassischen Annahmen, namentlich dass eine bestimmte Art des Lebens in sich selbst gut ist und dass dies kein Leben der Arbeit ist. Von der Antike unterschied es sich allein in seiner dogmatischen Sicherheit hinsichtlich dessen, was das gute Leben tatsächlich sei.
    Diese von der antiken Welt ins Mittelalter hineinreichenden Kontinuitäten bildeten die Grundlage dafür, dass Aristoteles’ Werk, als es Anfang des 13. Jahrhunderts über das islamische Spanien ins christliche Europa zurückkehrte, auf Menschen stieß, die in der Lage waren, es anzunehmen. »Einem gewissen Maß nach [sucht] der Mensch […] äußere Reichtümer zu besitzen […], wie sie zu seinem Leben gemäß seiner Stellung notwendig sind«, lautet eine zutiefst aristotelische Passage in der
Summa Theologica
von Thomas von Aquin. »In der Überschreitung dieses Maßes besteht sohin die Sünde [der Habgier]: indem nämlich einer über das gehörige Maß sie [die äußeren Reichtümer] entweder erwerben oder behalten will.«[ 11 ] Überflüssig zu erwähnen, dass der Doctor Angelicus eine gänzlich andere Vorstellung als Aristoteles davon hatte, worin dieser »Zweck« denn bestehe und mithin auch eine andere (und bescheidenere)Auffassung der materiellen Güter, die zu seiner Erfüllung erforderlich waren. Strukturell gesehen aber, sind die beiden Erwägungen identisch. Aquin wie Aristoteles stimmen darin überein, dass das
Telos
des Menschen dem Streben nach Reichtum Grenzen setzt, und beide erkennen an, dass es in der menschlichen Natur starke Kräfte gibt, die diese Grenzen zu überschreiten trachten.
    Vor allem war es Aristoteles’ Verdammung des Wuchers, der die mittelalterlichen Denker in den Bann schlug. Aristoteles’ Argumentation ist im Kern eine Art Wortspiel: Der Zins
(tókos)
heißt so, weil er das Geborene
(tókos)
des Geldes ist. Doch da Geld von Natur aus unfruchtbar ist, ist seine Zeugung aus sich heraus monströs und abscheulich. Dieses Bild vom Zins als eine widernatürliche Form der Vermehrung erwies sich als unwiderstehlich für die Vorstellungskraft der Theologen. »Mehrmals wird, durch die schändlichste List der Wucherei, Gold aus Gold selbst erschaffen«, lautet eine typische Passage aus der von Gratian im 12. Jahrhundert zusammengetragenen maßgebenden Sammlung kanonischen Rechts. »Niemals gibt es Befriedigung; niemals wird den Habgierigen ein Ende in Sicht kommen.«[ 12 ] Als Perversion des Zeugungsinstinkts wurde die Wucherei häufig der Sodomie an die Seite gestellt, und Dante steckte die Wucherer dann auch zusammen mit den Sodomisten in den siebten Kreis der Hölle. Zur gleichen Zeit tauchten europaweit in Schriften und Kathedralen Figuren auf, die Habgier und Wucherei verkörperten – hartherzige, untersetzte Männer, oft mit Hakennasen im Gesicht, die Geldbeutel umklammern und deren Hintern manchmal Münzen ausscheiden. Das war, natürlich, in höchstem Maße grotesk, aber doch auch nicht ohne ein Körnchen psychologischer Wahrheit. Seit jeher hatten Künstler und Schriftsteller die künstliche Produktivität des Geldes der natürlichen Fruchtbarkeit des Schosses gegenübergestellt. Wenn Midas, wie in Nathaniel Hawthornes Version der Legende, selbst seine eigene Tochter in Gold verwandelt, ist das ein geschickter dichterischer Kniff. Hinfort wird das von Midas »Geborene« allein Mammon sein.
    Von der Rhetorik abgesehen, die Grundtendenz des späten mittelalterlichenChristentums wies in Richtung einer Aussöhnung mit dem Handel. Es war dies das erste große Zeitalter der kapitalistischen Expansion, und die Kirche verfügte nicht über die Macht, sie zu zügeln. Die Doktrinen zum Wucher und zum gerechten Preis wurden immer stärker eingeschränkt und verwässert und gerieten

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