Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
füllen.
Beide der hier untersuchten Denktraditionen, der Liberalismus nach Rawls wie auch die neoklassische Wirtschaftswissenschaft, verbieten jede
öffentliche
Präferenz für diese oder jene Lebensweise. Keine hat irgendein Problem damit, wenn Individuen für sich selbst entscheiden, dass eine bestimmte Lebensweise »gut« ist und nur gerade so viel arbeiten, um sie sich leisten zu können. (Wenn ihre »Nutzenfunktion« so geformt ist, wer sind wir dann, ihnen widersprechen zu wollen?) Doch dieses Zugeständnis ist nicht so generös, wie das den Anschein haben mag. Für eine soziale Spezies wie die unsere ist ein gutes Leben vor allem auch ein Leben in Gesellschaft mit anderen. Es hat sein Zuhause nicht in den Gehirnen von Individuen, sondern in Gruppen von Menschen, die Dinge zusammen machen. Vielleicht ist es ja mein Wunsch, den lieben Tag lang Boule im Stadtpark zu spielen, aber wenn niemand sonst Boulespielt – oder es keinen Stadtpark gibt –, wird daraus nichts. Kollektive Partizipation ist eine Grundvoraussetzung für die meisten Visionen menschlicher Erfüllung, abgesehen vielleicht von radikal solitären Lebensentwürfen.
Natürlich gibt es in einer liberalen Gesellschaft nichts, was Individuen daran hindern würde, sich zum Zwecke des guten Lebens zusammenzutun. Utopisten und Sektierer tun gemeinhin eben dies. Allerdings – und das verweist auf einen zweiten, tiefer reichenden Sinn, in dem das gute Leben essenziell öffentlich ist – hängt die dauerhafte Lebensfähigkeit solcher Gruppen von ihrer Anerkennung durch die sie umgebende Kultur ab; fehlt diese Anerkennung, sorgen Misstrauen und Ressentiments meist für ein schnelles Ende. (Man muss nur das Schicksal der meisten modernen Kommunen mit dem der mittelalterlichen Klöster vergleichen, die von der gesamten Gesellschaft moralisch und materiell unterstützt wurden.) In einer Welt, die vor allem der Befriedigung privater Begierden gewidmet ist, ist das gute Leben bestenfalls ein marginales Anliegen, ein Hobby von Exzentrikern und Enthusiasten, dessen Verfechter gerne von dem Gedanken geplagt werden, sie seien den Anforderungen des Konkurrenzkampfs einfach »nicht gewachsen« und ihre Ideale nichts weiter als eine Maske für ihr Versagen. Doch ebenso, wie eine liberale Gesellschaft beliebig viele Entwürfe des guten Lebens zulässt, bietet sie keinem davon eine gastfreundliche Umwelt.
Das Ideal von einem auf diese oder jene Weise gearteten guten Leben ist eine Konstante des menschlichen Denkens und taucht eigenständig überall auf der Welt auf. Wir allein haben es für angemessen gehalten, es zu eliminieren. Nicht das gute Leben, sondern das Leben selbst – sein Genuss, seine Bequemlichkeit und seine Verlängerung – ist zu unserem alles andere beherrschenden Ziel geworden. Unser Zeitalter ist das von Nietzsche vorhergesehene, die Zeit, »wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht über den Menschen hinaus wirft und die Sehne seines Bogens verlernt hat, zu schwirren!«[ 33 ]
Der Niedergang des Ideals von einem guten Leben erklärt die in Kapitel 1 skizzierte grenzenlose Ausweitung der Begierden. Die Neigungzur Unersättlichkeit ist schon immer als solche erkannt worden, doch früher wurde sie von Verboten und widerstrebenden Idealen in Schach gehalten. Diese Verbote und Ideale sind heute verschwunden. Losgelöst von gleich welcher Vorstellung davon, was das Gute für den Menschen sein könnte, und geschürt von Neid und Langeweile, vermehren sich die Wünsche wie die Köpfe der mythologischen Hydra.
Doch in all der Düsternis gibt es auch Licht. Die in diesem Kapitel präsentierten Vorstellungen vom guten Leben beschränkten sich auf kleine Eliten, die von der Arbeit anderer Menschen – nicht selten Sklaven – lebten. Die traditionellen Ökonomien waren außerstande, eine größere Zahl Menschen über das Subsistenzniveau hinaus zu erheben. Heute befinden wir uns zum ersten Mal in der Geschichte in einer Position, dieses säkulare Unrecht zu beheben. Wir verfügen über die materiellen Kapazitäten, allen Menschen das gute Leben – oder doch zumindest die Möglichkeit des guten Lebens – zu bieten. Die Erfordernisse des menschlichen Gedeihens stehen nicht länger im Widerstreit zu denen der menschlichen Gerechtigkeit.
Was aber, wenn ein gutes Leben nicht nur unter Umständen, sondern prinzipiell gar nicht allen Mitgliedern einer Gesellschaft zugänglich ist – in derselben Weise, wie das zum Beispiel die Epitheten »bestes«
Weitere Kostenlose Bücher