Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
weiteren politischen Arena sind es die Neutralisten und nicht ihre Kritiker, die den größeren Einfluss (gehabt) haben.
4 DAS WUNDER DES GLÜCKS
Es wäre ja auch unverständlich, dass das Endziel ein Spiel und das ganze Leben ein Arbeiten und Ertragen von Härten sein soll – um des Spieles willen.
A RISTOTELES ,
Nikomachische Ethik,
Buch X, 6. Kapitel
Denker sagen uns schon seit Langem, Wirtschaftswachstum könne uns nicht glücklich machen. 1751 schrieb Jean-Jacques Rousseau, dass »der Fortschritt der Wissenschaften und Künste nichts zu unserer wahren Glückseligkeit beigetragen hat«.[ 1 ] Vielmehr habe er Neid, Ehrgeiz und nutzlose Neugier gefördert – Leidenschaften, in deren Natur es liege, dass sie nie ganz oder universell befriedigt werden könnten. Wahres Glück sei das Ergebnis einfacher Vorlieben und ungekünstelter Tugenden. Das Symbol dafür sei das antike Sparta, nicht das moderne Paris.
Rousseaus Klage wurde kürzlich wiederaufgenommen, diesmal untermauert mit Statistik. Die »ökonomische Glücksforschung«, wie das neue Forschungsgebiet heißt, behauptet, nachweisen zu können, dass die Menschen in den Industrieländern zwar alles in allem ziemlich glücklich sind, aber nicht noch glücklicher werden. Das Glücksniveau in Großbritannien hat sich demnach seit 1974 kaum verändert, während sich das reale Pro-Kopf-Einkommen im selben Zeitraum beinahe verdoppelt hat. In anderen Industrieländern sieht es ähnlich aus. Ab einem gewissen Niveau scheinen Einkommen und Glück nicht mehr gekoppelt zu sein. Die Glücksforscher drängen dementsprechend die Industriestaaten, ihren Fokus vom BIP (Bruttoinlandsprodukt) zum BNG (Bruttonationalglück) zu verschieben. Ihr Einwand fand Beachtung. 2010 stellte David Cameron einen neuen »Glücksindex« als Ergänzung der traditionellen makroökonomischen Indizes vor. Glück ist heute ein ernsthaftes Thema der Politik.
Die ökonomischen Glücksforscher verfolgen die denkbar besten Absichten. Sie sind alarmiert, weil sich das Wirtschaftswachstum komplett von nachvollziehbaren Lebenszielen gelöst hat. Sie wollen uns die alte Weisheit ins Gedächtnis zurückrufen, dass Reichtum für den Menschen da ist, nicht der Mensch für den Reichtum. Leider ist ihre Emanzipation von der wirtschaftswissenschaftlichen Orthodoxie keineswegs vollkommen. Wie ihre mehr konventionell orientierten Kollegen betrachten sie das ökonomische Problem im Wesentlichen als ein Problem der Maximierung; sie unterscheiden sich nur darin, was sie maximieren wollen. Dieser Ansatz hat zahlreiche Mängel. Zunächst einmal vertraut er der Genauigkeit der Umfragedaten viel zu sehr. Und was schwerer wiegt: Glück wird als ein einfaches, unbedingtes Gut behandelt, das anhand einer einzigen Dimension gemessen werden kann. Die Quellen oder Objekte des Glücks bleiben ausgeblendet, es zählt nur, ob jemand mehr oder weniger von der Sache »Glück« hat. Solche Ideen sind falsch und gefährlich. Allgemein gesagt: Glück ist nur gut, wenn es angebracht ist; wenn Traurigkeit angebracht ist, ist es besser, traurig zu sein. Glück an sich, unabhängig von Objekten, zum höchsten Ziel der Politik zu erheben, ist ein Rezept für Infantilisierung – Aldous Huxley hat das in
Schöne neue Welt
auf denkwürdige Weise dargestellt. Wir wollen die Technokraten des Wachstums nicht verbannen, nur um zu erleben, wie sie durch die Technokraten der Glückseligkeit ersetzt werden.
E INE SEHR KURZE G ESCHICHTE DES G LÜCKS
Wir alle wissen, was mit dem Wort »Glück« gemeint ist: der angenehme, vertraute Zustand, den alle Eltern für ihre Kinder wünschen und alle romantischen Heldinnen in der Ehe zu finden hoffen. Aber sobald wir sagen sollen, was Glück
bedeutet,
sehen wir uns einer verwirrenden Fülle von Definitionen gegenüber. Glück ist eines der »im Kern umstrittenen Konzepte«, wie Walter B. Gallie gesagt hat, und die Diskussion darüber kann nie endgültig entschieden oder beendet werden. Kurzum, Glück ist ein philosophisches Konzept.
Die erste ausführliche Erörterung, was Glück ist, finden wir in der westlichen Denktradition am Anfang von Herodots
Historien.
Herodot schildert den Besuch Solons von Athen bei Krösus, dem sagenhaft reichen König von Lydien. Krösus fragt Solon, ob er bei seinen Reisen jemanden getroffen habe, der »glücklicher als alle anderen« gewesen sei. Solon ignoriert geflissentlich die Aufforderung, seinem Gastgeber ein Kompliment zu machen, und bezeichnet stattdessen
Weitere Kostenlose Bücher