Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Bunter, wenn sein glänzender Blick über die Schinkenkeulen in seiner Speisekammer gleitet, ausrufen: »Es sind nicht genug!«) Auf Begierden bezogen, kann unsere Frage »Wie viel ist genug?« also nur mit einem schulterzuckenden »Wie viel wollen Sie denn haben?« beantwortet werden. Und wenn mit »genug« lediglich »genug, um alle Begierden zu erfüllen« gemeint ist, kann es so etwas wie »mehr als genug begehren« gar nicht geben. Die Habgier als Laster verschwindet aus dem Blickfeld.
Nicht zuletzt hat die moderne Wirtschaftswissenschaft dem zentralen Konzept des Gebrauchswerts den Garaus gemacht. Für Aristoteles bestand, wie wir gesehen haben, der Gebrauchswert eines Objekts in seinem speziellen Beitrag zum guten Leben. Wein zum Beispiel verbessert das Essen und fördert die Freundschaft, beides zentrale menschliche Güter. Deshalb besitzt Wein einen Gebrauchswert, Crack (das weder das Essenverbessert noch Freundschaften oder sonst was Gutes fördert) aber nicht. Wenn ich Crack den Vorzug vor Wein gebe, ändert das daran nichts; es beweist nur, dass ich einen schlechten Geschmack habe.
Das von Aristoteles ersonnene Konzept des Gebrauchswerts wurde von Smith, Ricardo und natürlich auch Marx übernommen, der ausgiebig Gebrauch davon machte. Aber Ende des 19. Jahrhunderts und zum Teil in Reaktion auf Marx machten sich die Ökonomen an die Demontage des Konzepts. »Der Wert«, schrieb 1871 der österreichische Ökonom Carl Menger, ein Pionier des neuen Ansatzes, »ist demnach nichts den Gütern Anhaftendes, keine Eigenschaft derselben, ebenso wenig aber auch ein selbstständiges, für sich bestehendes Ding. Derselbe ist ein Urteil, welches die wirtschaftenden Menschen über die Bedeutung der in ihrer Verfügung befindlichen Güter […] fällen.«[ 29 ] Diese neue Auffassung vom Wert, besser gesagt vom »Nutzen«, hat sich seitdem als Standard auf dem Gebiet der Volkswirtschaft durchgesetzt. Das Konzept vom Nutzen beziehungsweise von der Utilität ist rein deskriptiv; es drückt aus, was ich begehre, nicht, was ich begehren sollte. Wenn ich mein Geld lieber für Crack als für Wein ausgebe – nun denn, dann hat Crack für mich eine höhere Nützlichkeit.
Die Einführung der Nützlichkeit wurde als ein großer Fortschritt in der ökonomischen Analyse bejubelt, nicht zuletzt, weil damit das alte, von Aristoteles aufgeworfene Problem des Verhältnisses von Gebrauchs- zu Tauschwert gelöst schien. Aristoteles hatte sich gefragt, wie es kam, dass ein Schwein und ein Bett, die zwar beide, aber doch auf sehr unterschiedliche Weise, zum guten Leben beitragen, nichtsdestotrotz auf einer gemeinsamen monetären Skala bewertet werden können. Von der neuen Warte aus betrachtet, löst sich das Problem in Nichts auf. Wenn der Gebrauchswert lediglich den »Konsumnutzen« und der Tauschwert den »Tauschnutzen« beschreibt, dann sind das, so Menger, »lediglich zwei verschiedene Formen derselben [allgemeinen Wert-] Erscheinung«.[ 30 ] Damit besteht das metaphysische Problem der Übertragung des einen Wertes in den anderen nicht mehr, sondern nur noch das technische Problem festzustellen, ab welchem Punkt Konsumgüter getauschtstatt gebraucht werden. Doch wie so oft in der Ideengeschichte war das ursprüngliche Problem weniger gelöst worden, als vielmehr durch ein anderes, zugänglicheres Problem ersetzt worden. In seinem eigentlichen Sinn verstanden, also als wirkliche
Nützlichkeit
statt als bloßer Konsumnutzen, kann der Gebrauchswert ebenso wenig in Tauschwert übertragen werden wie Farbe in Länge.
Die Auflösung der Unterscheidung zwischen Gebrauchs- und Tauschwert war ungeheuer folgenreich. Von Aristoteles bis Keynes wurde der Tauschwert – beziehungsweise das Geld als seine reinste Verkörperung – als ein eigenständiges und fragwürdiges Objekt menschlichen Strebens betrachtet. Vergil sprach von der
auri sacra fames,
der verfluchten Gier nach Gold. Für Keynes gehörte die Liebe zum Geld »als Besitz« und nicht nur »als einem Mittel für die Genüsse und die Wirklichkeiten des Lebens« zu einer jener »halb verbrecherischen, halb krank haften Neigungen, die man mit Schaudern an die Fachleute für geistige Erkrankungen« verweisen wird.[ 31 ] Wenn aber das moderne Dogma recht hat, dann ist die von Keynes hier vorgenommene Unterscheidung substanzlos. Geld an sich, getrennt gesehen von den Gütern, die es kommandiert, kann nicht das konkrete Objekt von Liebe sein. Die Leidenschaft eines Midas’ oder eines
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