Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
und »höchstes« sind? Was, wenn es sich dabei um ein inhärent snobistisches oder kontrastives Konzept handelt, eines, das nur denkbar ist, wenn es Lebensweisen gibt, die
nicht
gut sind? Der Verdacht erscheint unerfreulich plausibel. Ein Gutteil der klassischen Ethik atmet Verachtung aus für die einfachen Menschen, die Menschen von niederem Stand, und selbst die christliche Tugend der Wohltätigkeit scheint ganz und gar in der Annahme aufzugehen, dass (wie Jesus sagte) die Armen immer mit uns sein werden. Sollte die Idee von einem guten Leben auf dem beruhen, was Nietzsche das »Pathos der Distanz« nannte, dann dürfte sie unvereinbar sein mit der Demokratie, die die meisten von uns wertschätzen.
Eine ausführliche Antwort auf diesen Einwand muss bis Kapitel 6 warten. Aber lassen Sie uns, zum Zwecke der Beruhigung, anmerken, dass unsere Vorstellung vom guten Leben keineswegs einen Gegensatzzu anderen, schlechteren Lebensweisen voraussetzt. Die Freuden der Überlegenheit und Herablassung haben keinen Anteil daran. Diese Einschränkung schließt im Übrigen einen erheblichen Teil der vormodernen Moralphilosophie aus. So verspüren wir wenig Neigung, Aristoteles’ Ideal des »hochgesinnten« Mannes wiederzubeleben, der sich im Bewusstsein seiner eigenen Überlegenheit sonnt. Was aber nicht heißt, dass die gesamte vormoderne Ethik mit Misstrauen beäugt werden muss. Daraus, dass die Vorstellung eines guten Lebens historisch mit den privilegierten Schichten verbunden war, folgt nicht zwingend, dass ein solches Leben Privilegiertheit voraussetzt. Die
Gentlemen
– Edelleute – bildeten zu allen Zeiten eine kleine Elite, aber ein edles Verhalten steht im Prinzip allen offen. Einem nietzscheanischen Pessimismus muss widerstanden werden.
Unsere Aufgabe lautet also, aus den Fragmenten der Weisheit, die uns geblieben sind, ob in Traditionen der Vergangenheit oder in unseren eigenen, tief begrabenen Intuitionen, ein Abbild des guten Lebens zu rekonstruieren. Wenn uns das gelingt, könnten wir möglicherweise – und in demokratisierter Form – etwas von der
Douceur
der großen Zivilisationen der Vergangenheit wiederbeleben, wenn nicht sogar ihrer schöpferischen Energie. Mephistopheles sähe sich seines Sieges beraubt.
Bevor wir aber unsere Vorstellung von einem guten Leben umreißen, müssen wir uns zunächst mit zwei anderen einflussreichen Bewegungen auseinandersetzen, die den Moloch Wachstum in die Schranken weisen wollen. Die eine appelliert an das Konzept vom Glück, die andere an das der Nachhaltigkeit. Wir sympathisieren mit den Zielen beider Bewegungen, glauben aber, dass sie die eigentliche Grundlage unserer Bedenken gegen das endlose Wachstum falsch verorten. Denn die ist unserer Überzeugung nach moralischer und nicht etwa utilitaristischer Natur.
* Diese Interpretation ist umstritten. Wir folgen hier der sogenannten »primitivistischen« Schule, die einen radikalen Bruch zwischen der antiken Ökonomie und dem modernen Kapitalismus annimmt. Siehe Scott Meikle,
Aristotle’s Economic Thought,
Oxford 1995, ein Werk, dem wir viel zu verdanken haben.
** Dass Marx’ Begrifflichkeit so gut zu Aristoteles’ Ausführungen passt, ist kein Zufall. Marx war stark von Aristoteles beeinflusst.
*** Was nicht heißen soll, dass es im alten Indien kein säkulares geistiges Leben gegeben hätte, wie Amartya Sen in seiner 2005 erschienenen Schriftensammlung zur indischen Geschichte und Identität
The Argumentative Indian
darlegte. Neben wichtigen Errungenschaften auf den Gebieten der Mathematik, der Metaphysik und der Logik wurden auch Abhandlungen über die Verwaltung von einem weltlichen Standpunkt aus verfasst. Doch als Gegensatz zum theoretischen und politischen Denken blieb die Ethik sehr eng mit dem Bereich des Mythischen und Rituellen verflochten.
**** Die Dharmasutren sind in der Sache der Zinsnahme geteilter Meinung. Die Dharmasutren von Apastamba, Baudhayana und Vasistha verbieten es, das von Gautama erlaubt es.
***** Der Buddhismus wird als die dritte traditionelle Lehre Chinas gezählt, im Hinblick auf seinen Einfluss auf die Kultur insgesamt aber kann er mit dem Taoismus zu einer Gruppe zusammengefasst werden.
****** Zu den prominentesten »Neutralisten« zählen, neben Rawls, Ronald Dworkin und Robert Nozick. Andere liberale Philosophen, insbesondere Joseph Raz, stehen diesem Ansatz kritisch gegenüber. Aber in der
Weitere Kostenlose Bücher