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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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Träger desselben Lebens, das durch uns Bewusstsein erlangt hat. Wenn wir ihr unrecht tun, schädigen wir die Wurzeln unserer Existenz.

6    WAS ZU EINEM GUTEN LEBEN GEHÖRT
    Ich brauche einen Krug Wein und einen Gedichtband,
zum Essen einen halben Laib Brot,
und dann werden wir, Du und ich, an einem einsamen Ort
mehr Reichtum besitzen als ein Sultan.
    O MAR K HAYYAN
    Wir haben es bereits gesagt: Unsere Fixierung auf Konsum und Arbeit hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Frage, was zu einem guten Leben gehört, vollkommen aus der öffentlichen Diskussion verschwunden ist. Die Wunschziele, die Keynes und Virginia Woolf nannten – 500 Pfund im Jahr und ein Zimmer für sich allein –, spielen schon lange keine Rolle mehr, wir lassen uns permanent von immer neuen Konsumangeboten verführen. Wenn wir ein Verständnis dafür entwickeln wollen, was es bedeutet, genug zu haben, müssen wir lernen, wieder die Frage zu stellen: Was heißt es, gut zu leben?
    Ein gutes Leben, wie in Kapitel 3 beschrieben, ist ein wünschenswertes, erstrebenswertes Leben, nicht einfach ein Leben, wie viele es haben wollen. Wir können es nicht definieren, indem wir Köpfe zählen oder Fragebögen verteilen. Aber ein gutes Leben kann auch nicht vollkommen anders sein als das, was die Menschen überall auf der Welt und zu allen Zeiten sich wünschten und immer noch wünschen. Anders als in den Naturwissenschaften ist in der Ethik der universelle Irrtum ausgeschlossen, denn zum Gegenstand der Ethik – dem, was gut für den Menschen ist – haben alle Menschen etwas zu sagen. Es gibt keine Experten für Moral. Aristoteles wusste das, deshalb ging er an ethische Fragen so heran, dass er zuerst einmal »Meinungen« sammelte, allgemeine Meinungen und die von gebildeten Menschen. Er erkannte, dass die gewöhnliche Erfahrung Weisheit enthält, und sei sie verborgen oder verdreht.Heute können wir dasselbe Verfahren in viel größerem Umfang anwenden und die Meinungen nicht nur unserer Landsleute heranziehen, sondern die aller zivilisierten Völker in der Geschichte.
    An diesem Punkt der Erörterung weist man üblicherweise auf die große Bandbreite moralischer Überzeugungen und Verhaltensweisen hin. Wie können wir angesichts einer solchen Vielfalt Kriterien für »ein gutes Leben« benennen? Ist das nicht einfach nur Chauvinismus oder, noch schlimmer, »Kulturimperialismus«, die willkürliche Zuschreibung unserer Vorlieben, die andere womöglich nicht teilen? Sollten wir uns nicht darauf beschränken, einen neutralen Rahmen von Regeln zu erstellen, der Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen erlaubt, harmonisch zusammenzuleben? Wie wir in Kapitel 3 gesehen haben, ist das die typische Position des modernen Liberalismus, insbesondere des Wirtschaftsliberalismus.
    Zwei Antworten sind angebracht. Erstens folgt aus der Tatsache, dass moralische Ansichten so verschieden sind, nicht automatisch, dass sie gleichwertig sind. Es könnte durchaus sein, dass manche Kulturen – natürlich auch unsere eigene – bei manchen ethischen Fragen
falsche Auffassungen
hegen. Sogar hartnäckige Wertrelativisten kann man in der Regel mit Standardbeispielen wie der weiblichen Beschneidung in Nordafrika oder dem Binden der Füße in China zum Schweigen bringen. Es kann auch eine Kultur eine andere davon überzeugen, dass ihre Haltung falsch ist – natürlich nicht mit schlagenden Argumenten, sondern indem sie bislang schlummernde Gefühle von Abscheu oder Mitgefühl weckt. Hier wären die Liberalisierung der Familienstrukturen unter dem Einfluss des Buddhismus in China zur Tang-Zeit zu nennen und im 20. Jahrhundert unter dem westlichen Einfluss in Indien. Milton Friedman hatte nicht recht, als er sagte, über unterschiedliche Auffassungen bei Grundwerten könnten die Menschen »letztlich nur handgreiflich streiten«.[ 1 ]
    Zweitens trifft es zwar zu, dass Moralvorstellungen verschieden sind, aber die Unterschiede sind nicht so groß, wie oft angenommen wird. Alle Kulturen auf der Welt unterstützen mehr oder weniger stabile Verbindungenvon Männern und Frauen, damit Kinder geboren und aufgezogen werden, aber die konkreten Formen der Verbindungen variieren stark. Alle Menschen leben in Gruppen, die über die erweiterte Familie hinausreichen, mit irgendeiner Form der politischen Organisation. Alle haben eine Vorstellung von Eigentum und Tausch. In allen Kulturen gibt es Betätigungen, die über die reine Befriedigung von Grundbedürfnissen hinausgehen,

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