Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
verbleiben muss«.[ 39 ] Aber egal, ob der Schutz der Wildnis in der Theorie wünschenswert ist oder nicht, in der Praxis ist es ein paradoxes Unterfangen, denn eine Wildnis, die nur durch den Eingriff des Menschen in ihrem Zustand erhalten werden kann, ist keine richtige Wildnis mehr. Die afrikanischen Savannen, aufmerksam beobachtet und gepflegt von Wissenschaftlern, sind in Wahrheit riesige Parks, die sich nur in ihrer Größe von Parks in ländlichen Gebieten Englands unterscheiden. Und wenn wir uns außerdem bemühen, wie die Gerechtigkeit es uns abverlangt, die Wildnis nicht nur für Wissenschaftler und Forscher zugänglich zu machen, sondern auch für normale Touristen, wird das ihre Unberührtheit weiter beeinträchtigen. Es sieht also so aus, als wäre es uns vom Schicksal bestimmt, die Welt in einen Garten zu verwandeln, egal, wie unsere Absichten sind.
Drittens wird ein Umweltschützer, dem ein gutes Leben am Herzen liegt, ohne Zögern zugeben, dass ihm das Überleben des Schneeleoparden wichtiger ist als das der Ameisenart
acanthomyops latipes.
Nach einer Erklärung gefragt, wird er einfach sagen, dass der Leopard ein wunderschönesTier mit einer langen Geschichte in Kunst und Heraldik ist. Natürlich ist das anthropozentrisch, aber welche Alternative haben wir? Tiefenökologen glauben vielleicht, dass der volle intrinsische Wert der Natur zum Vorschein kommt, wenn wir sie jeder Bedeutung für uns Menschen entkleiden. Das Gegenteil ist richtig. Wenn wir das könnten – tatsächlich können wir es nicht –, bliebe etwas ganz ohne intrinsischen Wert übrig, wie Kohle oder Ölreserven. Wert wird durch den Schleier menschlicher Symbolik verliehen. Wenn wir diesen Schleier wegziehen, haben wir nur die »öden und nackten Kiesel der Welt«.
Schließlich wird Umweltschutz für ein gutes Leben das Problem des Bevölkerungswachstums ernst nehmen. Im Jahr 2011 hat die Bevölkerungszahl die Marke von sieben Milliarden überschritten, und sie wächst weiter, wenn auch nicht mehr so schnell. Ob das Bevölkerungswachstum eine Krise wie von Malthus prophezeit auslöst oder nicht, auf jeden Fall wird es unsere Lebensqualität beeinträchtigen. Die Aussicht, dass Menschen zusammengepfercht wie Käfighühner hausen, ist, selbst wenn es »nachhaltig« sein sollte, alles andere als wünschenswert. Keynes selbst betrachtete als eine Voraussetzung, die wirtschaftliche Glückseligkeit zu erreichen, die »Macht, den Bevölkerungszuwachs zu überwachen«. Wie diese Macht zu erlangen ist, stellt ein drängendes technisches Problem dar; allerdings überschreitet das die Grenzen unseres Buchs.
Welche Implikationen hat Umweltschutz für ein gutes Leben? Schutz der Landwirtschaft, Einschränkungen für den Bau von Supermärkten, Förderung der handwerklichen Nahrungsmittelproduktion – das sind nur einige Beispiele, welche Strategien helfen könnten, die Verbindung zur Scholle zu erhalten. Umweltökonomen wie E. F. Schumacher propagieren sie seit Jahrzehnten, wenngleich oft aus falschen utilitaristischen Gründen. Wie würden sie sich auf das Wachstum auswirken? Wahrscheinlich negativ, obwohl Frankreich und Italien ihre landwirtschaftlichen Traditionen erfolgreicher bewahrt haben als England, ohne dass dies nennenswerte Beeinträchtigungen für das Wirtschaftswachstum brachte. Wie auch immer, das ist nicht entscheidend. Umweltschutz für ein gutes Leben verfolgt nicht aktiv weniger Wachstum,das ist vielmehr ein neutraler Nebeneffekt von Maßnahmen, die für sich genommen wünschenswert sind.
Eine in dieser Weise reformierte Umweltschutzbewegung wäre nicht länger von wissenschaftlichen Behauptungen abhängig, die unsicher und irrelevant sind. Falls es natürliche Grenzen des Wachstums gibt, kommen sie für die Erfordernisse eines guten Lebens viel zu spät ins Spiel. Wenn wir unsere Hoffnung allein auf die Knappheit der Ressourcen setzen, verdammen wir uns zu Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten geistlosen Konsums. Umweltschutz für ein gutes Leben wird außerdem die Atmosphäre des mürrischen Moralismus zerstreuen, die in letzter Zeit über der Umweltbewegung hängt. Wir würden daran erinnert, dass ein Leben im Einklang mit der Natur nicht Verzicht und Opfer bedeutet, sondern unbedingt erstrebenswert ist. Die Natur ist weder Rohmaterial, das wir nutzen können, wie es uns gefällt, noch eine fremdartige Göttin, die Opfer verlangt. Sie ist ein »schlummernder Geist«, wie die deutschen Romantiker gern sagten – der stumme
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