Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
unter Androhung von Folter den Adligen befahl, Salons zu besuchen und über philosophische Fragen zu diskutieren, die Menschen
zwingen
will, kultiviert zu sein. Aber der Staat kann viel tun, ohne zu solchen extremen Mitteln zu greifen. Ökonomische Anreize, um die Menschen zu einem guten Leben zu motivieren, werden im Allgemeinen nicht als diktatorisch empfunden, außer vielleicht von einigen ganz unbedingten Verfechtern der Freiheit. Tatsächlich nutzen alle liberalen Staaten solche Anreize bereits, allerdings ist ihre offizielle Begründung in der Regel eher utilitaristisch als ethisch. (Zum Beispiel werden Steuervorteile für Verheiratete oft damit gerechtfertigt, dass Kinder, die in einer Ehe aufwachsen, später im Leben besser zurechtkommen. Das ist zwar richtig, geht aber am Kern der Sache vorbei.) Im nächsten Kapitel schlagen wir mehrere Wege vor, wie man bestehende ökonomische Anreizinstrumente im Dienst eines guten Lebens weiterentwickeln könnte. Der Staat kann es den Menschen leichter machen, gut zu leben anstatt schlecht, aber die letzte Entscheidung muss jedem selbst überlassen bleiben.
Der Begriff des guten Lebens kann auch noch tiefer, auf einer metaphysischen Ebene, untersucht werden. Das moderne naturwissenschaftliche Bild, dass die Natur keine inhärenten Zwecke hat, unterstützt den Gedanken, dass auch der Mensch keinen inhärenten Zweck hat, dass jeder Mensch seine eigene Vorstellung vom Guten hegt. Dieser Gedanke ist die Quelle dessen, was die Ökonomen als Lehre von der »Gegebenheit der Bedürfnisse« bezeichnen, die wir in Kapitel 3 vorgestellt haben.Aber stimmt das? Eine umfassende Antwort auf diese Frage führt uns in unsichere Gewässer, deshalb muss eine vorläufige Antwort ausreichen. Selbst wenn die Naturwissenschaft uns verbietet, von Zwecken zu sprechen – was, nebenbei bemerkt, in der Biologie viel weniger zutrifft als in der Physik und der Chemie –, warum sollte das bei Dingen, die uns viel unmittelbarer angehen, unser Denken beschränken? Die Naturwissenschaft ist ein wunderbares Instrument, um die äußere Natur zu erforschen. Aber wenn der Forschungsgegenstand das für den Menschen Gute ist, müssen wir uns von unserer Intuition, erweitert um Lektüre, Reisen und Gespräche, leiten lassen.
D IE B ASISGÜTER
Die Liste der Basisgüter umgibt eine Aura von Willkür. Um sie zu zerstreuen, müssen wir unsere Kriterien definieren. Es sind vier:
1. Basisgüter sind
universell,
das heißt, sie gehören zu einem guten Leben an sich, nicht zu einer bestimmten, lokalen Vorstellung von einem guten Leben. Das Universelle hinter dem Speziellen zu erkennen, erfordert eine starke philosophische Intuition, die sich von Zeugnissen aus unterschiedlichen Zeitaltern und Kulturen leiten lässt. Dieser letzte Aspekt wird oft vergessen. Zu oft wiederholen die »Einsichten« moderner Philosophen einfach nur die zu Beginn des 21. Jahrhunderts geläufigen Plattitüden. Nussbaums Katalog der zentralen menschlichen Möglichkeiten enthält beispielsweise den »Schutz vor Diskriminierung wegen Rasse, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Kaste, ethnischer Zugehörigkeit oder nationaler Abstammung« – eine einwandfrei progressive Liste, aber wohl kaum eine universelle.[ 10 ] Eine stärker philosophische Ausrichtung würde vielleicht die Gleichsetzung von universellen mit modernen liberalen Werten ins Wanken bringen. Vor dem Hintergrund der Ewigkeit betrachtet, ist unsere Kultur genauso beschränkt wie jede andere.
2. Basisgüter sind
final,
das heißt, sie sind gut an sich und nicht nur als Mittel zu etwas anderem, das gut ist. (Das unterscheidet unsere Basisgüter von Rawls’ Grundgütern und von den Befähigungen von Sen und Nussbaum.) Die philosophische Standardmethode, um finale Güter aufzuspüren, besteht darin, immer wieder »wozu?« zu fragen, so wie kleine Kinder, die uns manchmal damit auf die Nerven gehen. Wenn keine Antwort mehr kommt, wissen wir, dass wir bei dem endgültigen Gut angekommen sind. »Wozu ist das Fahrrad da?« »Damit ich zur Arbeit gelange.« »Und wozu ist die Arbeit da?« »Damit ich Geld habe.« »Und wozu ist das Geld da?« »Damit ich Essen kaufen kann.« »Und wozu ist das Essen da?« »Damit ich am Leben bleibe.« »Und wozu ist das Leben da?« Ratlosigkeit. Das Leben ist »für« nichts da. In unserer Begrifflichkeit ist es Teil des Basisguts der Gesundheit.
Alle Basisgüter sind final, aber nicht alle finalen Güter sind basal. Eine Kette von
Weitere Kostenlose Bücher