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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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Bezug auf das Gute zu sein, zumindest nicht bei Erwachsenen und nicht in einigen Kernbereichen, damit die Individuen breiten Raum für wichtige Entscheidungen und bedeutungsvolle Beziehungen haben. Aber zu dieser Achtung gehört auch, Position zu beziehen, welche Bedingungen ihnen erlauben, ihrem eigenen Kurs zu folgen, frei von tyrannischen Vorgaben von Politik und Tradition.[ 7 ]
    Der Wunsch, die Autonomie zu wahren, erklärt, warum Sen und Nussbaum sich stärker auf Befähigungen konzentrieren als auf tatsächliche Funktionsweisen. Auf den ersten Blick erscheint uns dieser Fokus etwas seltsam. Warum sollten wir uns Gedanken darüber machen, ob Menschen zu Gesundheit, Bildung und so weiter
fähig
sind? Es zählt doch, ob sie
wirklich
gesund und gebildet sind. Aber in letzterer Frage öffentlich Stellung zu beziehen, bedeutet in den Augen von Nussbaum, »diktatorisch« hinsichtlich des Guten zu sein. »Wenn es um erwachsene Staatsbürger geht, ist die Befähigung, nicht die Funktionsweise, das angemessene politische Ziel.«[ 8 ]
    Unser Ansatz ist vollkommen anders. Basisgüter, wie wir sie definieren, sind nicht nur Mittel oder Befähigungen zu einem guten Leben, sie
sind
das gute Leben. Überdies betrachten wir solche Güter als angemessenes Ziel nicht nur für privates Handeln, sondern auch für politisches Handeln. Wenn in den meisten Fällen nicht nur die Befähigung zählt, ein gutes Leben zu führen, sondern, ob ein solches Leben tatsächlich geführt wird, warum sollten wir uns dann die Handlungsspielräume vorenthalten, die wir haben, um es herbeizuführen? Stellen wir unszwei Gesellschaften vor: In der einen gibt es keine Krankenhäuser, in der anderen gibt es Krankenhäuser, aber niemand nutzt sie. In der einen Gesellschaft ist die Befähigung für Gesundheit vorhanden, in der anderen nicht, aber letztlich zählt, dass die Menschen in beiden Gesellschaften gleichermaßen
nicht gesund
sind. Und beide Gesellschaften stellen uns vor ein politisches Problem, ein Problem des staatlichen Handelns.
    Außerdem erfordert auch unser spezielles Dilemma – ein Dilemma des Reichtums, nicht der Armut –, dass wir den Fokus auf die Ziele legen statt auf die Befähigungen. Sen und Nussbaum beschäftigen sich hauptsächlich mit armen Ländern, in denen vielen Menschen die Ressourcen für ein gutes Leben fehlen. Aber in der wohlhabenden Welt stehen wir vor dem vollkommen anderen Problem, wie wir vorhandene Ressourcen gut nutzen. Wenn das Ziel der Politik nur durch Befähigungen definiert wird, gerät das aus dem Blick. »Ein Mensch, der Gelegenheiten zum Spielen hat, kann sich trotzdem für das Leben eines Workaholic entscheiden«, schreibt Nussbaum und unterstellt dabei, solange die Entscheidung frei ist, sei das Ergebnis nicht von öffentlichem Interesse.[ 9 ] Aber wenn das Workaholic-Leben trotz Arbeit arm ist, wie es nach Ansicht der meisten Menschen, die darüber nachgedacht haben, der Fall ist, dann sollte uns die Entscheidung gegen ein »besseres Leben«, ob sie frei getroffen wurde oder nicht, tatsächlich beunruhigen.
    An diesem Punkt werden unsere Gegner auf das Schreckgespenst des
Paternalismus
verweisen. Wenn wir sagen, die Politik sollte sich auf Ziele konzentrieren statt auf Mittel und Chancen, sind wir dann nicht »diktatorisch hinsichtlich des Guten«? Zwei Überlegungen können helfen, diesen Verdacht auszuräumen oder ihm zumindest seinen Stachel zu nehmen. Erstens hatten bis vor Kurzem alle westlichen Länder viele Gesetze, die explizit darauf abzielten, die Menschen besser zu machen, als sie von selbst wären. (Bis in die 1960er-Jahre war Pornografie im britischen und amerikanischen Recht definiert als etwas, das tendenziell »verderben und korrumpieren« würde.) Viele solche Gesetze gelten noch immer und wurden sogar ausgeweitet, wenngleich heute üblicherweise mitder Begründung, es solle Schaden für Dritte abgewendet werden. Beispiele dafür sind Gesetze gegen Drogen, Inzest und Sodomie, Beschränkungen beim Verkauf und Gebrauch von Pornografie, Alkohol und Zigaretten und viele Gesetze zu Gesundheits- und Sicherheitsbelangen. Nur in der abgehobenen Welt der akademischen Philosophie sind liberale Staaten nicht »diktatorisch«, wenn es darum geht, was gut ist.
    Da, zweitens, ein gutes Leben nach jeder vernünftigen Definition autonom und selbstbestimmt ist, kann der Staat als Zwangsanstalt es immer nur bis zu einem gewissen Grad fördern. Es ist einfach absurd, wenn man wie Peter der Große, der

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