Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
muss das tun.« Das Gesicht des Mannes ist jetzt zornesrot, als er mit dem Zeigefinger auf den Hund weist.
»Dann kann ich Sie nur bitten, Henry die Chance zu geben, bei anderen Menschen zu leben, die ihn so wollen, wie er ist. Sie könnten dafür einen Hund finden, der besser zu Ihnen passt und Ihre Erwartungen erfüllt. Dieser hier wird das nicht tun. Niemals«, sage ich sehr ruhig und sehe dem Mann dabei in die Augen.
Die Frau hinter seinem Rücken hält sich wohl in Erwartung eines Donnerwetters die Hand vor den Mund. Trotz seines Ärgers scheint dem Mann plötzlich dennoch der Ernst der Lage aufzugehen. Er kratzt sich mit der Lederhandschuhhand am Kopf.
»Aber ich habe schon viel investiert in den Hund. Wer zahlt mir das?«, sagt er und wagt sich damit einen vorsichtigen Schritt in die von mir vorgeschlagene Richtung.
»Niemand«, gebe ich zu. »Und der neue Hund würde ja auch wieder kosten«, gibt er weiter zu bedenken.
Ich hebe die Achseln.
»Kurt, schau mal. Es wäre doch gut, wenn wir nicht mehr so große Sorgen mit dem Hund hätten. Schließlich wollten wir doch wirklich einen, der so mit uns lebt wie die anderen vorher. Die Hunde aus dem Tierschutz sind eben eigen, da lässt man lieber die Hände von. Immerhin haben wir ihn gerettet, nicht?« Sie sucht Zustimmung in meinem Gesicht.
Ich spüre etwas in mir aufsteigen, dem ich nur sehr schwer eine sachliche sprachliche Form geben kann. Ich versuche es dennoch: »Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit Ihrem Mann spazieren.« Ich weise dabei in Richtung Straße. »Sie tun das schon Ihr ganzes Leben mit Freude und natürlich selbstständig. Plötzlich landet ein Ufo, und Ihr Mann wird hineingezerrt und entführt. Sie bleiben allein zurück. Ihrem Mann wird mitgeteilt, dass er nun in Sicherheit sei, weil man ihn gerettet habe. Es könne ihn schließlich ein Auto überfahren oder ihm ein anderes Unbill zustoßen. Die fremden Wesen sind sehr freundlich, weil sie es bedauern, dass er so viel erleiden musste. Schließlich musste er eine Firma leiten, Menschen führen, Entscheidungen treffen. Jetzt soll er in einem speziellen Haus Schutz finden. Darin wird er zwar gefangen gehalten, jedoch gut versorgt. Die Wesen entscheiden, wann Ihr Mann was tun darf. Sie sind dabei sehr laut und aufgeregt und probieren viele verschiedene Dinge mit ihm aus. Ihr Mann spürt instinktiv, dass sie ihn nicht verstehen können und keine Ahnung haben, was er wirklich braucht und möchte. Sie verlangen Dinge von ihm, die seiner Kultur völlig fremd sind. So soll er zum Beispiel auf einem Bein hüpfen, wenn er auf einen anderen entführten Menschen trifft, weil die Wesen eine solche Begrüßung als passend empfinden. Sie hüpfen selbst so herum. Gibt Ihr Mann einem anderen entführten Menschen aber in Menschenart die Hand, wird er hart bestraft, weil die Wesen einen Händedruck als Ausdruck von Aggression empfinden.
Ich könnte diese Geschichte jetzt noch lange so weiterspinnen, aber wie mir scheint, haben Sie mich auch so schon verstanden.«
Beide starren mich entgeistert an.
»Sie haben es ganz sicher gut gemeint, und Sie haben Henry nicht entführt, sondern die entsprechende Tierschutzorganisation. Ich möchte nur, dass Sie verstehen, was für einen Hund man Ihnen da gegeben hat und was die Situation für ihn bedeutet.«
Das Paar blickt synchron auf den Hund. Der Mann greift sich in den Nacken und scheint zu überlegen. Die Frau blickt auf ihren Mann. »Und wie werden wir den Braten jetzt wieder los?«, ringt sich der Mann in einem halb scherzhaften Tonfall ab.
»Ich würde jetzt gern erst einmal bei den Tierschützern anrufen, die ihn hergeholt haben. Sicher steht ja in Ihrem Vertrag, dass Sie ihn nicht einfach so abgeben dürfen?« Die Frau nickt und gibt mir die Wurststückchen wieder, die sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hat, für eine Übung, die nun nicht mehr stattfinden wird.
»Ja, der Henry ist ein Riesenkerl. Er lag mit seinem Rudel in Spanien immer an einem bestimmten Platz, wenn er nicht mit ihnen umherzog«, sprudelt es am Telefon aus einer fröhlichen Tierschützerin heraus. »Die Anwohner kannten ihn schon lange, er muss also schon älter sein. Dann wurde ein junger Hund aus dem Rudel überfahren, und da haben wir die ganze Gruppe gerettet.«
»Ich verstehe«, antworte ich. »Aber warum gingen Sie davon aus, dass auch Henry überfahren wird, wenn er doch schon so viele Jahre auf der Straße überlebt hat?«, frage ich weiter.
Stille.
»Na, das
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