Wie weit du auch gehst ... (German Edition)
unter die Dusche.
Das warme Wasser spülte nicht nur die Spannung aus ihrem Körper, es ließ auch ihre Beherrschung wie Zuckerwatte dahinschmelzen. Übrig blieb der ungeschönte Schock, die abgrundtiefe Erkenntnis, was geschehen war. Ihre sorgsam aufgebaute Tarnung war dahin. Alles, was sie in den letzten Jahren getan hatte, um ihre Spuren zu verwischen, völlig umsonst. Michael hatte sie dennoch gefunden. Sie hatte nichts mehr, nur noch die Gewissheit, dass sie aus Köln verschwinden musste.
Wohin konnte sie jetzt noch gehen, nachdem ihr Exmann Bescheid wusste? Sie glaubte keine Sekunde, dass Silas die Quelle dieser Informationen gewesen war, aber das spielte im Grunde keine Rolle mehr. Auf welchem Weg auch immer ihre Geschichte aufgeflogen war, die Chance, zu entkommen, stand ohne neue Identität denkbar schlecht. Sie und Eliah würden nie zur Ruhe kommen und ständig den Tod auf den Fersen haben.
Bei diesem Gedanken brach sie endgültig zusammen. Tagelang aufgestaute Angst und Kummer ließen ihre Nerven versagen. Zuerst begannen ihre Zähne zu klappern, dann knickten ihre Beine weg. Einfach so, ohne dass sie das Geringste dagegen ausrichten konnte.
Weinend rutschte sie zu Boden. Erschöpft, die Knie an den Körper gepresst, saß sie da und starrte auf die weißen Fliesen, während ihr die Ausweglosigkeit der Lage immer deutlicher vor Augen trat. Heute Abend war sie am Ende angelangt. Am Ende ihrer Weisheit, am Ende ihrer Kraft und um ein Haar auch am Ende ihres Lebens. Zum ersten Mal wusste sie nicht mehr weiter. Taub brütete sie vor sich hin, nicht mehr in der Lage, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Erst als das Wasser abgedreht wurde und sich Silas neben sie setzte, spürte sie seine Gegenwart. Kraftlos hob sie den Kopf.
Silas legte stumm einen Arm um ihre Schultern und zog sie zu sich. Constanze ließ sich gegen ihn fallen. Heiße Tränen rannen über ihr Gesicht.
»Ist ja gut.« Er rieb sanft ihren Rücken. »Ich werde nicht zulassen, dass euch etwas zustößt.« Er hob sie auf seine Oberschenkel.
Seine tröstliche Nähe riss den letzten Damm nieder. Haltlos schluchzend warf Constanze die Arme um seinen Hals und murmelte leise seinen Namen.
*
Constanzes Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber Silas verstand sie trotzdem. Und auch das Vertrauen darin. Ergriffen küsste er ihre Schläfe. Ihr Anblick tat ihm in der Seele weh. Wenn er ihren Ex jemals in die Finger bekam, würde er ihn qualvoll umbringen. Langsam genug, dass dieser Mistkerl noch einsah, welch Fehler es gewesen war, Constanze zu verletzen.
Sie weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte, bis sie schwächer als eine leere Hülle in seinen Armen hing. Irgendwann stand Silas mit ihr auf und trug sie zu seinem Bett. Vorsichtig legte er sie auf das weiche Laken.
Constanze fiel in tiefen Schlaf, noch ehe ihr Kopf das Kissen berührte. Physisch und psychisch erschöpft suchte ihr Körper nur noch nach Erholung.
Silas betrachtete sie einen Moment. Beide Hände rechts und links von ihr auf die Matratze gestützt, blickte er auf sie hinab. Trotz der außergewöhnlichen Situation beschleunigte sich sein Herzschlag. Constanze lag in seinem Schlafzimmer, in seinem Bett …
Es wäre eine Lüge gewesen, zu behaupten, dass er sich nicht darüber freute – auch wenn er sich weiß Gott andere Umstände gewünscht hatte. Langsam richtete er sich auf und breitete eine Decke über ihren nackten Leib. Nach einem letzten Blick auf sie ging er ins Bad. Er duschte, wusch sich den Schmutz und das Blut vom Körper und erneuerte den Verband. Nur mit Shorts bekleidet, kehrte er ins Schlafzimmer zurück.
Constanze lag unverändert da. Die Hand unter der Wange, zusammengerollt wie ein kleines Bündel, glich sie einer Traumgestalt. Aber das war sie nicht. Sie war real.
Ohne den Anflug eines Schuldgefühls glitt Silas hinter ihr ins Bett. Einen Arm um sie gelegt, zog er sie sacht an seinen Körper. Er bezeichnete sich zwar nicht gerade als unverschämt, aber ein Heiliger war er eben auch nicht. Zu lange hatte er auf diese Situation hingearbeitet, um sie jetzt ungenutzt verstreichen zu lassen.
Constanze murmelte leise im Schlaf, kuschelte sich aber postwendend an ihn.
Silas lächelte. Anscheinend kam sie mit seiner Nähe inzwischen ganz gut klar. Er schloss die Augen und atmete ihren Duft ein. Wie gut es sich anfühlte, sie im Arm zu halten. Konnte ein Mann sich etwas Schöneres wünschen? Ihm fiel beim besten Willen nichts
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