Wie weiter?
Migranten, die nicht in die dortige Gesellschaft integriert werden. Nächtliche Unruhen fanden zur selben Zeit in Dänemark statt: Auch dort reagierten jugendliche Einwanderer gegen repressiv wahrgenommene Kontrollen der Polizei mit Gewalt. In der Türkei ging es um einen Park – und es entstand eine Protestbewegung gegen die Regierung Erdogan. Und der Protest in Frankfurt am Main gegen die Europäische Zentralbank wurde brutal unterbunden.
Sicher gibt es immer konkrete Anlässe, die solche Zusammenstöße provozieren. Doch sie sind immer nur der berühmte Topfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es wurde bereits vorher und über geraume Zeit gefüllt. Gesellschaftliche Prozesse haben eine lange Laufzeit. Wenn man diesen Konflikten auf den Grund geht, so wird offenbar, dass sie überall die gleichen Ursachen haben. Darum halte ich es für angezeigt, dass wir uns um europäische, einschließlich verfassungsrechtliche Strukturen bemühen müssen und dass wir auch neue deutsche verfassungsrechtliche Strukturen benötigen.
Lässt sich für eine sozial-ökologische Demokratie erfolgreich in der Opposition streiten?
Vor zehn, fünfzehn Jahren sprach kaum einer in unserem Land über soziale Fragen. Heute stehen sie im Zentrum der öffentlichen Debatte. Die Linken, die das damals als Einzige thematisierten, sind seither nicht unbedingt stärker, aber einflussreicher geworden. Es muss also mit dem öffentlichen Druck zusammenhängen, mit den Konflikten und Problemen in der Gesellschaft. Sie drängen in die Medien, in die Parlamente, niemand, der sich diesen Auseinandersetzungen entziehen kann. Der Zeitgeist hat sich geändert. Den kann weder eine einzelne Partei noch irgendeine Einrichtung oder Organisation bestimmen. Daran sind viele Elemente beteiligt. Die Kunst politischer Institutionen besteht darin, diese Stimmung – sofern sie mit den eigenen Zielen korrespondiert – aufzugreifen, sie zu verstärken oder zu inspieren.
Die Linken haben es nach meiner Überzeugung mit Ausdauer und Konsequenz vermocht, ihren politischen Markenkern erfolgreich zu kommunizieren. So kam denn einiges zusammen.
Insofern teile ich die Wahrnehmung etwa der beiden Journalisten von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht, die mich in einem Interview am 1. Mai 2013 mit der Feststellung konfrontierten, die Linkspartei habe »ihren großen historischen Moment – die Unzufriedenheit mit der Agenda 2010 – verstreichen lassen«. Wir haben von Anfang an diese unsoziale Politik bekämpft, und wenn wir inzwischen von sehr vielen als Partei der sozialen Gerechtigkeit wahrgenommen werden, hängt dies ursächlich mit unserem Widerstand zusammen.
Das, so scheint mir, ist der gravierende Unterschied zu spontanen Unmutsbekundungen, deren Legitimität ich keineswegs in Abrede stelle. Beides wird benötigt. Aber selbst den hartnäckigsten »Wutbürger« verlässt irgendwann die Wut. Um Gesellschaft zu verändern und zu gestalten genügt aber nicht der spontane, befristete Protest. Dazu werden auch politische Strukturen, theoretische Grundlagen und Prinzipien benötigt, das ganze Instrumentarium, mit dem auch die Gegner streiten. Selbst wenn man ihnen mit gleichen Waffen gegenübertritt, heißt das noch nicht, dass sie die auch akzeptieren. Die alte Bundesrepublik war das militant antikommunistischste Land Westeuropas, das wirkt nach. Gegen Ignoranz und Dummheit ist kein Kraut gewachsen.
Doch auch hier gilt: Steter Tropfen höhlt den Stein. Am Ende macht sich hartnäckige Ausdauer bezahlt. Bei dem einen zeitigt sie früher, beim anderen später Folgen. Peter Gauweiler beispielsweise, in den frühen 90er Jahren Bayerischer Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen, war der einzige Abgeordnete der Regierungsparteien, der am 28. Februar 2013 im Bundestag für den Antrag der Linken »Wasser ist Menschenrecht – Privatisierung verhindern« stimmte.
Und schon Jahre zuvor, am 9. Juni 2008, kritisierte er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seinesgleichen für den heuchlerischen Umgang mit Ostdeutschen und Linkspolitikern. »Die Angehörigen der westdeutschen politischen Klasse […] forderten die Verurteilung Honeckers mit der gleichen Überzeugungsstärke, wie sie ihm zwei Jahre zuvor eine Staatsgala veranstalten«. Gauweiler monierte, dass sie mit anderen ehemaligen ostdeutschen Funktionsträgern ähnlich verfuhren, obgleich diese doch »eine Brücke in das wiedervereinigte Land geschlagen« hätten. »Das ist gut und nicht schlecht
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