Wie weiter?
als Ganzes kann jederzeit in geschlossener Sitzung tagen.
Umgekehrt kann niemand ausschließen, dass auch im Neuner-Gremium Plaudertaschen sitzen. Die Grundfrage lautet hier: Was ist wichtiger – die Demokratie oder die Banken?
Es findet ein Prozess statt, bei dem die europäische Integration nationalstaatlich verfasste demokratische Institutionen untergräbt, ohne dass auf europäischer Ebene demokratische Äquivalente nachwachsen würden. Wir haben es tatsächlich mit einem Demokratieabbau zu tun, der damit begründet wird, dass die herrschende Politik meint, Märkte »beruhigen« zu müssen. Das ist der Tausch Demokratie gegen Markt. Aber wie gesagt, das Bundesverfassungsgericht hat hier weitgehend korrigiert.
Es gibt nur eine denkbare fortschrittliche Perspektive: Das europäische Integrationsniveau, das sich gerade bildet, erfordert eine Verfassung. Diskutieren wir über eine demokratische Verfassung in Europa, die den Namen verdient.
Wir müssen die Demokratie attraktiver machen. Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene mit angemessenen Quoren müssen zugelassen werden. Sie dürfen auch nicht haltmachen vor dem Haushaltsrecht. Die Bestimmung über bis zu zehn Prozent des Haushaltes müsste zulässig sein. Ein Schritt dorthin könnte eine Regelung dergestalt sein, dass jede Fraktion des Bundestages berechtigt ist, zur Bundestagswahl eine Frage dem Wahlvolk zur Entscheidung vorzulegen. Dies müsste rechtzeitig geschehen. Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob die Antwort »Ja« oder »Nein« grundgesetzkonform ist. Sofern nicht, kann die Frage neu formuliert werden. Fiele auch sie beim Bundesverfassungsgericht durch, darf die Fraktion keine mehr zur Wahl stellen. An die Entscheidung wäre der Bundestag eine Legislaturperiode gebunden, egal, welche Regierung amtiert. Das veränderte nach meiner Überzeugung den Wahlkampf, führte zu einer regeren Beteiligung an der Bundestagswahl und verschaffte vielen Menschen politische Erfolgserlebnisse, fänden sie sich am Wahlabend bei bestimmten Fragen in der Mehrheit wieder.
Außerdem plädiere ich für eine dritte Stimme bei der Bundestagswahl. Die Bürgerinnen und Bürger könnten wie bisher ihre Erststimme einem Direktkandidaten bzw. einer Direktkandidatin und die Zweitstimme einer Partei geben. Und zusätzlich könnten sie auf der Liste Kandidatinnen und Kandidaten mit drei Kreuzen auswählen.
Heute entscheidet allein die Partei über die Reihenfolge auf der Liste und sorgt so für größte Disziplin – Personen müssen der Partei, die sie nominiert, so verbunden sein, dass sie überhaupt auf die Liste kommen. So aber müssten sie zudem den Wählerinnen und Wählern so nahe sein, dass sie auch das Kreuz erhielten. Sie wären doppelt »unterstellt« – der Partei und den Wählerinnen und Wählern. Das halte ich für eine Bereicherung der Demokratie.
17. Ausdauer und Hartnäckigkeit
E s gibt immer wieder Dinge, die mich überraschen. Dazu gehören Proteste und Protestformen an Orten, bei denen man nicht damit gerechnet hat. Ich denke an die Zeltstadt auf dem Tahrir-Platz in Kairo und das Camp in Tel Aviv gegen unsoziale Entwicklungen in Israel. Inspiriert durch die Tahrir-Proteste bildeten sich in New York Protestcamps der Occupy-Bewegung, die schnell auf andere Städte – auch in Europa – übergriffen.
Was war dort festzustellen? Es gibt keine feste Programmatik, wohl aber eine spontane und dezentrale Organisation. Es herrscht eher ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber der demokratischen Staatlichkeit und der anonymen Macht der Finanzmärkte vor. Kritisch wahrgenommen werden gravierende soziale Ungleichheiten: »Wir sind 99 Prozent.«
Es erfolgt eine Kapitalismuskritik im Namen der Demokratie.
Die Beteiligten kommen vor allem aus den Mittelschichten, das Durchschnittsalter ist niedrig. Man sieht meist junge Leute. Kritische Ökonomen wie Krugman und Stiglitz, linke Promi-Intellektuelle wie Chomsky oder Judith Butler solidarisieren sich. Es gibt Berührungen mit Gewerkschaften.
Griechenland erhob sich – jenseits von »Occupy« – Protest gegen Massenverarmung und Bevormundung durch die »Troika«. Und in britischen Städten entluden sich im Sommer 2011 (»London Riots«) aufgestaute Aggressionen dauerhaft Ausgegrenzter gewalttätig gegen eine Ordnung, die nicht einmal als »Ordnung«, die geändert werden könnte, wahrgenommen wird. Im Mai 2013 brannten in Schweden Barrikaden: Auch dort erhoben sich Migrantinnen und
Weitere Kostenlose Bücher