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Wie weiter?

Wie weiter?

Titel: Wie weiter? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Gysi
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sich auf eine Zeit, in der sie kaum mehr als das waren. Ihre Verwandlung in – wie Marx es nannte – »arbeitende Körperschaften« ist inzwischen weit vorangekommen. Wie gesagt, ganz so begrenzt wie zu Marx’ Zeiten sind die Parlamentsbefugnisse heute nicht mehr. Lediglich Außen- und Sicherheitspolitik bilden institutionell noch Sonderfälle. Aber auch hier – ich erinnere an das Parlamentsbeteiligungsgesetz beim Einsatz der Bundeswehr – gibt es demokratische Fortschritte. Gleichwohl gibt es auch einen rückläufigen Prozess. Die Regierungen versuchen sich, wo es nur geht, der Kontrolle zu entziehen und Fakten zu schaffen. Dazu stehen ihr eine Reihe von Mitteln zur Verfügung, darunter der »Schutz von schutzwürdigen Geheimnissen«. Dieses Mittel kommt gern in Untersuchungsausschüssen zum Einsatz, aber auch zur Abwehr des Fragerechts.
    Dann gibt es das bewährte Mittel des Sich-dumm-Stellens, das Verstecken hinter der institutionellen Gliederung des Staates und ähnliche Tricks.
    Schließlich findet sich im Arsenal der Regierung auch das Ausreizen der Verfahrensordnungen. Wenn Vorlagen von erheblichem Textvolumen fünf Minuten vor Toresschluss die Abgeordneten erreichen, kann getrost davon ausgegangen werden, dass sie nicht wissen können, worüber sie beraten.
    Eine besondere Rolle bei der Abwehr demokratischer Einflussnahme spielen die Geheimgremien. Ursprünglich wurden sie (der Verteidigungsausschuss, das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste) deshalb eingerichtet, um die parlamentarische Befassung trotz Geheimhaltungserfordernissen zu ermöglichen. Man kann darüber streiten, ob Geheimdienste oder Armeen – so wie heute aufgestellt – erforderlich sind, aber wenn es sie gibt, müssen sie kontrolliert werden – unter Wahrung des Geheimschutzes. Wenn man Einrichtungen wie Geheimdienste akzeptiert, dann aber Geheimhaltungsimperative nicht akzeptieren mag, bewegt man sich in einem soliden Widerspruch. Dann sollte man lieber für die Auflösung von Geheimdiensten eintreten.
    Das Hauptproblem liegt in der Ausweitung der Geheimgremien als Form des parlamentarischen Demokratieabbaus. Ich kann auch sagen, dass beim neoliberalen Staatsumbau Geheimgremien eine besondere Rolle spielten. Wie das geht, konnte man während der Finanzkrise 2008/09 studieren. »Das Gremium tagt geheim«, so hieß es kurz und bündig in §10 des »Finanzmarktstabilisierungsgesetzes«. Dieses Gesetz sollte den Rechtsrahmen für die Bankenrettung während der Finanzkrise schaffen. Das geheime Parlamentarier-Gremium sollte dem »Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung« (SoFFin) parlamentarischen Begleitschutz geben, jenem Fonds, aus dem für 480 Milliarden Euro Bürgschaften, Kredite und Direkthilfen an Banken und Hedgefonds vergeben werden können, für die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haften.
    Das bereits erwähnte Gremium besteht aus neun Abgeordneten, sechs von der Koalition, einer von jeder Oppositionspartei. Neun Köpfe für Risiken von 480 Milliarden Euro? Entscheidet dieses Geheimgremium wenigstens über die Mittel und ist verantwortlich zu machen? Mitnichten.
    Die Neun dürfen Fragen stellen, mit den Antworten aber nicht operieren, nicht in die Vergabepraxis eingreifen oder mitbestimmen.
    Auf die Geheimhaltungspflicht folgte prompt die Entmachtung. In diesem Fall: Selbstentmachtung des Bundestages, denn das Gesetz wurde mit Koalitions-Mehrheit so beschlossen. Über eine Summe im doppelten Umfang des Bundeshaushaltes will die parlamentarische Mehrheit nicht mitentscheiden. Die Entscheidungsgewalt überträgt sie der »Finanzmarktstabilisierungsanstalt« bei der Deutschen Bundesbank und einem ministerialen »Lenkungsausschuss« unter Fach- und Rechtsaufsicht des Bundesfinanzministeriums, in dem Kanzleramt, Wirtschafts-, Finanz- und Justizministerium mit Staatssekretären bzw. Abteilungsleitern vertreten sind.
    Faktisch hat die neoliberale politische Elite den Staat übernommen, um in Not geratenen Angehörigen der neoliberalen wirtschaftlichen Eliten aus der Krise zu helfen. Die angebliche »Systemrelevanz« führt nicht nur zur Rettung maroder Hedgefonds und Banken, sondern auch zur Aushebelung elementarer demokratischer Parlamentsrechte.
    Die Bundesregierung muss sich gesagt haben, dass man auf Bewährtes gern zurückgreift, als sie sich das Neuner-Gremium ausdachte. Genau genommen ist das Vertraulichkeitsargument, das der Einrichtung von Sondergremien zugrunde liegt, nicht stichhaltig. Der Bundestag

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