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Wie wollen wir leben

Wie wollen wir leben

Titel: Wie wollen wir leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Maischenberger
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die Regel selbst soll unangetastet bleiben?
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    Ich akzeptiere keine Ausnahme von der Regel. Ich respektiere Gewissensentscheidungen. Wenn Menschen sagen: »Ich weiß, das ist gegen das Gesetz, was ich tun werde, aber mein Gewissen sagt
mir, dass ich es dennoch machen muss. Und ich will auch die Folgen in Kauf nehmen!« Dann bleibt die Regel auch in diesem Fall bestehen. Anders wäre es, wenn der Staat in solchen Fällen auf Sanktionen verzichten würde. Das darf nicht sein.
    Â 
    Hatten Sie je in Ihrem Leben eine solche Entscheidung zu treffen?
    Â 
    Meiner Erinnerung nach befand ich mich nie in einer solchen Situation. Doch während der Schleyer-Entführung und der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut nach Mogadischu im Herbst 1977, durch die inhaftierte Mitglieder der RAF freigepresst werden sollten, kam ich ihr in gewissem Sinne nahe. Mit meinen Argumenten hatte ich ja unmittelbaren Einfluss auf das Leben oder Sterben von Menschen. Aber all diese Argumente bewegten sich im Rahmen unseres Grundgesetzes und seiner Wertordnung. Als der Sohn des von der Roten Armee Fraktion entführten und später ermordeten Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, Hanns-Eberhard Schleyer, das Bundesverfassungsgericht anrief, um die Regierung zu zwingen, den Forderungen der Terroristen nachzugeben, wurde sein Antrag abgelehnt. Die Bundesregierung müsse selbst entscheiden, so das Gericht, welche Mittel sie einsetze, um das Leben Schleyers zu retten. Sie sei nicht gezwungen, zu diesem Zweck die Forderung der Terroristen zu erfüllen. Wir haben stattdessen die Suche nach Schleyer mit großem Nachdruck betrieben, um ihn zu befreien. Leider ist das nicht gelungen. Hier habe ich mein Gewissen geprüft. Es war aber mit dem, was getan wurde, im Einklang, obwohl das das Leben eines Menschen zunächst ernsthaft gefährdete und schließlich sein Ende mit verursacht hat. Es würde nun wohl zu weit führen, alle die Argumente wiederzugeben, die für diese Entscheidungen maßgebend waren.

Über christliche Nächstenliebe, Soldatsein unter Hitler und Todsünden
    Wie haben Sie sich das Wertegerüst, dem Sie sich heute noch verpflichtet fühlen, aufgebaut? Vermutlich beginnt es mit einer christlichen Erziehung im Elternhaus?
    Â 
    Hauptsächlich war es der Einfluss meiner Mutter. Meine Eltern gehörten verschiedenen Konfessionen an, der Vater war evangelisch, die Mutter katholisch. Damals war eine katholische Trauung in dieser Konstellation nur möglich, wenn sich der protestantische Teil, also mein Vater, verpflichtete, die Kinder im katholischen Glauben aufziehen zu lassen.
    Â 
    Das war wohl in Bayern so.
    Â 
    Nein, das war in Göttingen, in Niedersachsen – also im damaligen Preußen. Beachten Sie: Meine Eltern haben 1923 geheiratet. Also, meine Mutter nahm Einfluss auf meine christliche Erziehung, mein Vater hielt sich dabei zurück. Ich war dann Messdiener und nahm in der Schule am Religionsunterricht teil. In der Zeit des Nationalsozialismus hörte der am Gymnasium auf, wenn man vierzehn war. Doch wurde er als privater Unterricht, an dem ich teilnahm, im Pfarrhaus fortgesetzt. In der Folgezeit – etwa im Krieg – hatte ich auch Phasen größeren Zweifelns. Erst in der RAF-Zeit wurde mir wieder klarer, was mein Glaube für mich bedeutete.
    Â 
    Sie mussten abwägen zwischen einem Menschenleben und dem, was sonst von Bedeutung war. Da half Ihnen eine Instanz wie Gott?
    Â 
    Ja, ich hatte und habe eine persönliche, eine lebendige Gottesvorstellung. Die Überlegung war in diesem Fall einfach: Tue dein Äußerstes, prüfe dein Gewissen, versuche auch mit der Person

    Â 
    Gottes zu sprechen, doch gib dich dann in die Hand des Herrgotts. Mir hat dieser Gedanke eine gewisse Festigkeit gegeben. Ich erinnere mich auch noch an eine Predigt, die der Bischof Georg Moser wenige Tage vor der Ermordung von Hanns Martin Schleyer in einer Stuttgarter Kirche hielt. Da äußerte er sich ganz ähnlich.
    Â 
    Als Kind, als junger Mann waren Sie also noch nicht besonders gottesfürchtig, eher ein durchschnittlicher Ministrant – oder wie habe ich mir das vorzustellen?
    Â 
    Genau so. Sie dürfen dabei nicht vergessen, dass ich in der Zeit des NS-Gewaltregimes aufgewachsen bin; 1933 war ich sieben Jahre alt. Kirche, Religion und Hitlerjugend – das hat natürlich Spannungsverhältnisse ausgelöst. Außerdem, und

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