Wie wollen wir leben
haben. Natürlich sind da die Kirchen selbst gefordert. Aber auch andere groÃe gesellschaftliche Institutionen von den Gewerkschaften über die Arbeitgeberverbände und die Sozialverbände bis hin zu den Medien und den Parteien. Verstärkt sollte jeder von uns auch darauf achten, welches Beispiel er gibt. Woran er sich selbst orientiert. Zu viele zeigen mit dem Finger stets nur auf andere, nicht auf sich selbst.
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Aber ist dieses Wertefundament, das Sie da formulieren, tatsächlich tauglich für den politischen Alltag?
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Ja.
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Geben Sie mir ein Beispiel.
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Beispielsweise ist doch die soziale Gerechtigkeit der Wert, der in der Auseinandersetzung über die Situation der Hartz-IV-Empfänger ⦠Entschuldigung, aber ich finde, das ist eine ärgerliche Bezeichnung, weil damit Herrn Hartz zu einer Art Unsterblichkeit verholfen wird. ALG 2-Empfänger gefällt mir besser.
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Den Namen Hartz hat aber der Sozialdemokrat Gerhard Schröder eingeführt.
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Na gut. Aber wir müssen das nicht beibehalten, oder? Also: Die lange Diskussion über das Arbeitslosengeld 2 zeigt mir, dass die soziale Gerechtigkeit â und damit ein WertmaÃstab des Grundgesetzes â in der Politik eine Rolle spielt. Solidarität hat wiederum in der Entwicklungshilfe, aber auch in der Spendenfreudigkeit der Menschen im Falle von Katastrophen eine Bedeutung. Und dann haben wir noch ein Feld, auf dem die Grundwerte unmittelbar miteinander in Berührung kommen. Es ist das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit. Wie weit muss, darf, kann man die Freiheit einschränken, um Menschen Sicherheit zu geben, um sie vor Anschlägen zu schützen?
In diesem Zusammenhang beschäftigt mich ein Gedanke, den ich in der Diskussion sehr selten finde. Ich gehöre zu den Menschen, die gegen jede Art von Folter sind, und ebenso gegen maÃlose Ãberwachungssysteme. Nur wird man diese Haltung auch dann mit mir teilen müssen, wenn in einem konkreten Fall ein Massenanschlag zu verhindern gewesen wäre, falls man gefoltert oder über bestehende Regelungen hinaus abgehört hätte und damit über das, was das Grundgesetz erlaubte, hinausgegangen wäre. Das mag im ersten Moment erschreckend klingen, aber die Abwägung führt dazu, dass uns die Achtung der Menschenwürde dazu zwingt, einen Anschlag hinzunehmen, den man wirklich nur durch Folter oder eine totale Ãberwachung hätte verhindern können. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Fall des ehemaligen stellvertretenden Frankfurter Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner. Der wollte das Leben eines entführten Jungen
dadurch retten, dass er dem Entführer Gewalt androhte. Der gestand zwar seine Tat, wollte aber nicht verraten, wo er den elfjährigen Jakob von Metzler versteckt hielt. Daschner wurde später wegen Nötigung verurteilt. Die Tatsache, dass der Entführte zu dem Zeitpunkt, in dem Daschner den Täter bedrohte, schon tot war, spielte in diesem Zusammenhang rechtlich keine Rolle.
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Aber wie soll in einem solchen oder ähnlichen Fall mit einem Menschen wie Wolfgang Daschner umgegangen werden?
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So wie ich es eben geschildert habe. Daschner musste verurteilt werden, weil er gegen eine Grundnorm gehandelt hat. Daran ändert sich auch nichts, wenn seinem Handeln eine Gewissensentscheidung zugrunde lag. Eine solche Einlassung kann ich respektieren, wenn der Betreffende eben hinterher zu seiner Entscheidung steht und die Strafe annimmt.
Dies ist übrigens kein ganz neues Problem. Die Leute, die Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre gegen die Raketenstationierung und den NATO-Doppelbeschluss demonstriert haben, sagten ebenfalls, es sei ihnen so wichtig, dass sie dafür Gesetzesverletzungen in Kauf nehmen würden. Glaubwürdig war diese Begründung für mich dann, wenn sie anschlieÃend im konkreten Fall auch eine Verurteilung akzeptierten.
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Das heiÃt: Derjenige, der dem Entführer, dem Jurastudenten Magnus Gaefgen, Gewalt angedroht hat, um das Versteck des Kindes zu finden, der muss für seine eigentlich gute Tat in Kauf nehmen, dass er für immer und ewig aus dem Dienst entfernt wird?
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Er muss die staatliche Sanktion akzeptieren. Ob dazu die Degradierung oder die Entfernung aus dem Dienst gehört, richtet sich nach den einschlägigen Bestimmungen.
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Sie akzeptieren also eine Ausnahme von der Regel, aber
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