Wie wollen wir leben
Begeisterung oder Stolz war nicht dabei. Da die Luftangriffe schon begonnen hatten, begleiteten mich eher andere Gefühle und Ãberlegungen: Wie überlebt man als Soldat? Wie komme ich lebend wieder nach Hause? Dass wir den Krieg gewinnen würden, war im Juli 1943 â also nach Stalingrad â schon ziemlich unwahrscheinlich. Manchmal hörte man von den sogenannten Wunderwaffen und den Raketen V1 und V2 als »Vergeltungswaffen«. Aber man sah auch, wie das Gebiet unter unserer Kontrolle immer rascher schrumpfte. Und viele haben sich an das Ende des Napoleonischen Russlandfeldzugs erinnert â¦
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Sie wurden in Kassel eingezogen, wohin kamen Sie dann?
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Nachdem ich drei Wochen bei der Infanterie in Kassel war, wurden wir zur weiteren Ausbildung nach Zentralfrankreich verlegt, in die Gegend von Orléans. Neben der Ausbildung sollten wir gleichzeitig Besatzungsaufgaben wahrnehmen. AnschlieÃend hatte ich einen ROB-Lehrgang zu absolvieren, das hieÃ, ich wurde zum Reserveoffiziersbewerber. War man Abiturient, ging das ganz automatisch. Der Lehrgang war in der Normandie. Dort bekam
ich dann auch diese unangenehme Gelbsucht und lag, das erwähnte ich schon, fünf Wochen in Rennes im Lazarett. Wieder gesund, wurde ich zurück in die Normandie geschickt, danach nach Erfurt verlegt. Im Juli 1944 musste ich das erste Mal an die Front. Mit der Bahn ging es von Erfurt aus über den Brenner und Südtirol in die Nähe von Florenz. Die Südtiroler waren noch in guter Stimmung, weil die italienische Herrschaft über Südtirol zusammengebrochen war. Weiter ging es an den Arno, rund zwanzig Kilometer von Florenz entfernt. Dort war es aber relativ ruhig, ein paar Spähtrupps und sonst Abwarten in der Hauptkampflinie. Im September Verlegung nach Rimini. Hier bin ich durch eine unfallbedingte Verletzung am Unterschenkel in einen üblen Zustand geraten und kam dann mit einem Lazarettschiff von Rimini nach Venedig.
Von Venedig ging es nach Meran. In dieser Südtiroler Stadt konnte ich mich in einer Pension erholen, die zu einem Lazarett umfunktioniert worden war. Im Dezember â44 ging es über den Brenner nach Hause, nach Erfurt, und zwar in eine sogenannte Genesendenkompanie. Dort wurden im Jahr 1945 fast alle Soldaten, die sich dort befanden, zu Einsatzgruppen zusammengestellt und Richtung Osten in Marsch gesetzt â zu dieser Zeit hatten die Russen schon die Weichsel überquert und waren bis zur Oder vorgedrungen. Ich hatte aber groÃes Glück, weil man mich nicht dorthin, sondern wieder zu meiner Einheit nach Italien schickte. Anfang März 1945 wurde ich südlich von Bologna verwundet und lag wieder vier Wochen im Lazarett, bis ich im April erneut zu meiner Einheit zurückkehrte. In der gab es einen Hauptfeldwebel, der eine gewisse Sympathie für mich hatte. Er â ich war inzwischen zum Unteroffizier befördert worden â teilte mir mehrere Handwerker und fünf Kühe zu und trug mir auf, sie nach Norden an einen Ort zu führen, auf den sich die Division zurückziehen würde. Dann hätte man dort wenigstens ein bisschen Verpflegung, und die Handwerker könne man auch immer gebrauchen. Aber der Hauptfeldwebel hatte die Möglichkeit, zu dieser Zeit Kühe über den Po zu bringen, überschätzt.
In der Gegend von Vicenza wurde unsere kleine Gruppe von Partisanen gefangen genommen. Diese führten uns â und das war nicht sehr ermutigend â auf einen Friedhof. Zu unserer Erleichterung tauchte aber bald ein katholischer Geistlicher auf, der zwar nicht Deutsch sprach, aber uns durch seine Gesten beruhigte. Vier, fünf Stunden später erschienen Amerikaner, farbige Amerikaner. Von der NS-Propaganda waren wir in dieser Hinsicht ja sehr einseitig indoktriniert worden. Aber sie waren sehr freundlich zu uns.
Um es abzukürzen: Man brachte uns in ein Lager in der Nähe von Bologna. In diesem blieben wir aber nur kurz, es ging dann nachts in Richtung Pisa. Morgens gegen fünf Uhr marschierte unsere Gefangenenkolonne am Schiefen Turm vorbei, dann weiter nach Coltano. In dem Lager von Coltano erlebte ich den 8. Mai 1945, den Tag der Kapitulation. Wieder hatte ich Glück. Schon Ende Juli wurde ich aus der Gefangenschaft entlassen. Ein bisschen heruntergekommen und mager, wurde ich mit anderen Kameraden in einen der Züge verladen, die nun wieder über den Brenner fuhren. In Heufeld, in der Nähe von Bad
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