Wie wollen wir leben
Sache Agenda 2010, wie er selbst meinte, nur suboptimal war. Dann wäre sie â beispielsweise von den Gewerkschaften â auch nicht in Bausch und Bogen verdammt worden. Aber was ist denn mit dem Schröder, der nicht in den Irakkrieg gegangen ist? Was ist mit dem Schröder, der als Bundeskanzler den Atomausstieg vorangebracht hat? Ist das nicht anziehend?
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Ich merke, an der Stelle kommen wir nicht richtig weiter.
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Es besteht die Gefahr, dass wir uns wiederholen.
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Dann wenden wir uns einem anderen Thema zu: Teilen Sie die Beobachtung, dass in den neunziger Jahren der Rechtsextremismus vor allem auf der StraÃe ein Problem war und dieses Gedankengut heute in vielen europäischen Ländern Eingang in die Regierungsarbeit gefunden hat und dort zum Problem wird?
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Für die Bundesrepublik fällt mir kein konkretes Beispiel ein. Im Gegenteil, die demokratischen Kräfte sind einhellig gegen alle rechtsextremistischen Parolen und Aktivitäten. Auf der europäischen Ebene kann ich das nur punktuell beurteilen. So wird behauptet, dass der französische Präsident Nicolas Sarkozy solche Ideen in seine Aktionen deshalb aufgenommen hätte, um bei diesem Personenkreis Sympathien zu gewinnen. Und es ist nicht zu übersehen, dass in Frankreich rechtsorientierte Parteien, die ich nicht einfach mit der NPD vergleiche, neuerdings bei Wahlen zunehmen. Das ist dort schon länger der Fall.
In Ungarn hat dies bei den Wahlen 2010 zu einer Zweidrittelmehrheit der National-Konservativen unter Viktor Orbán geführt. Und zusätzlich erhielt die rechtsextremistische Jobbik-Partei 16,7 Prozent. Das hatte schon Wirkungen in der Gesetzgebung. Die Ungarn gaben sich eine neue Verfassung, wobei ich zögere, Dinge zu beurteilen, die ich nicht im Original gelesen habe. Aber die Meinung über einen Rechtsruck ist da ziemlich einheitlich.
Und nicht zuletzt hat der Ausgang der Wahlen 2011 in Finnland überrascht. Dass diese rechtspopulistische Partei, die Wahren Finnen unter Timo Soini, mit anti-europäischen Argumenten auf rund 19 Prozent kamen, das ist bei einem doch eher unaufgeregten Volk sehr erstaunlich. Das muss man im Auge behalten. Ebenso die in Dänemark verhängten schärferen Grenzkontrollen.
Dann zur Bundesrepublik: Bei uns würde ich sagen, dass wir verdammt wachsam bleiben müssen. Denn die Rechtsextremisten sind nach wie vor auf der StraÃe präsent. Sie versuchen seit einiger Zeit aber ebenso, in die Gesellschaft und ihre Institutionen einzudringen, und geben sich für diesen Zweck neuerdings nach auÃen hin gut bürgerlich. Auch sitzen sie noch in zwei Länderparlamenten, nämlich in Mecklenburg-Vorpommern und zum zweiten Mal in Sachsen. Gelegentlich sollte man sich auch daran erinnern, dass die NPD bei der Bundestagswahl 1969, also noch in der alten Bundesrepublik, insgesamt 4,3 Prozent erhalten hat und in sechs Landesparlamenten saÃ. Das muss man im Kopf behalten. Und man sollte nicht nur vom Staat fordern, dass er etwas gegen die Rechtsextremisten tut, sondern man sollte selbst etwas dagegen unternehmen. Aber erfreulich viele Bürger versammeln sich bei Gegendemonstrationen. Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass man die Voraussetzungen für einen Verbotsantrag schaffen sollte. Denn dass diese Leute durch die Parteienfinanzierung und auch in den Landtagen Steuergelder bekommen, das geht mir schon auf die Nerven. Bei unserer Geschichte müssen wir besonders sensibel und allergisch sein in dieser Richtung.
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In den anderen europäischen Ländern nährt sich dieser rechtspopulistische Impuls aus der anti-europäischen Haltung. In Deutschland war das bisher nicht der Fall. Sehen Sie eine Entwicklung, in der sich die anti-europäische Haltung auch in Deutschland verstärken könnte? Wenn sich möglicherweise die Wohlstandsfrage anders stellt?
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Zunächst verweise ich noch zusätzlich auf Holland. Bei den letzten Wahlen konnte dort die ausländerfeindliche Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders beachtliche Erfolge verzeichnen.
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Auch in Frankreich gibt es dieses Problem. Es hat unter anderem dazu geführt, dass Jean-Marie Le Pen, Gründer der rechtspopulistischen Front National, 2002, bei der vorletzten Präsidentenwahl, gegen Jacques Chirac, in die Stichwahl kam.
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Und seine Tochter, Marine Le Pen, die ein völlig anderes Auftreten hat, wird vielleicht sogar noch weiter
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