Wie wollen wir leben
kommen.
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Das darf man nicht leichtnehmen, und diese Situation gehört zum Thema Europa. Meiner Ansicht nach ist hierbei noch ein anderer Umstand von Bedeutung, auf den ebenfalls Jürgen Habermas hingewiesen hat. Er hat gesagt, dass wir noch viel zu wenig europäische Ãffentlichkeit haben. Das Europäische Parlament, das durchaus sinnvolle Arbeit leistet, ist in der Wahrnehmung der Menschen nicht präsent. Und infolgedessen gibt es auch zu wenig Erwiderung auf diese von uns jetzt gerade kritisch betrachteten Kräfte, die die Euroskepsis schüren. In dieser Hinsicht herrscht eine Lücke. Immerhin gibt es den interessanten Gedanken von zwei Listen für die Europawahl, eine nationale und eine europäische. Ich würde mir gern näher anschauen, ob das helfen könnte.
Jetzt zu Ihrer Frage: Ja, aufpassen muss man auch hierzulande, denn bisher gingen diese europäischen Rettungsvereinbarungen mit einem Wachstum der Wirtschaft einher. Noch geht es den Menschen in Deutschland insgesamt besser, als sie es zur Zeit der Finanzkrise erwartet haben. Wenn sich dies verändert und wenn anstelle der Bürgschaften tatsächlich Zahlungen geleistet werden müssen, könnte auch bei uns die Stimmung kritisch werden. Nur ist es dann â verdammt noch einmal â Aufgabe aller, die diesen europäischen Weg und damit die Rettung oder die Stabilisierung des Euro unterstützen, zu kämpfen. Was wäre denn die Alternative? Man kann ihnen nur sagen: »Glaubt ihr, es geht euch allen besser, wenn der Euro platzt? Wenn wir wieder eine eigene nationale Währung haben? Könnt ihr wirklich sagen, dass wir einundachtzig Millionen Menschen mit unserer Währung uns dann weltweit gegen den Dollar, gegen den chinesischen Renmimbi behaupten können? Und was bedeutet das alles für unseren Export? «
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Können Sie den Impuls verstehen, dass die Menschen angesichts der zunehmenden Zahl der Fragen, die nicht mehr national entschieden werden können, sagen: »Wir wollen das alles nicht. Wir wollen lieber in den kleineren, übersichtlicheren Einheiten leben«?
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Dass mehr und mehr Entscheidungen notwendigerweise auf der europäischen, auch auf der globalen Ebene getroffen werden müssen, ist eine ernste Herausforderung. Selbst für politisch interessierte Menschen â ich lasse das auch für mich gelten â ist es dadurch schwieriger geworden, zu sehen, wo die Entscheidungen vorbereitet werden und wer für sie verantwortlich ist. Und es mindert den Einfluss der nationalen Parlamente. Bisher war das nationale Parlament für alle wesentlichen Dinge da. Das nimmt ab, und Wichtiges verlagert sich auf das Europäische Parlament. Weltparlamente haben wir noch nicht, stattdessen den Sicherheitsrat, den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank. Das alles zu durchschauen und den Menschen nahezubringen ist eine harte Aufgabe. Ich würde mir wünschen, da bin ich wieder bei Habermas, dass die öffentliche Wahrnehmung der europäischen Institutionen stärker wird. Das ist aber nicht nur eine Aufgabe der Politiker, es ist auch eine der Medien.
Es gibt Fälle, wo die Europäische Kommission Dinge regeln will, die sie in Gottes Namen bleiben lassen sollte. Damit meine ich die berühmten Beispiele, die Edmund Stoiber einmal aufgezählt hat, die freie oder nicht freie Krümmung der Gurken etwa. Wenn der Euro auf Dauer stabil bleiben soll, müssen die Europäische Kommission und das Parlament noch mehr Sachen anpacken. Denn man kann nicht eine gemeinsame Währung erhalten, ohne dass es eine einigermaÃen gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik gibt. Wir brauchen ebenso eine gemeinsame AuÃenpolitik, sonst geht manche Entwicklung über uns hinweg. Wir Europäer müssen zudem realisieren, dass wir schon längere Zeit nicht mehr der Mittelpunkt der Welt sind.
Ãber Revolutionen von oben, eine Liebe zu Griechenland und die Kluft zwischen Arm und Reich
Helmut Schmidt sagt, dass sich die europäischen Institutionen deshalb mit der Krümmung der Gurke beschäftigen, weil sie die groÃen Probleme aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips in Wahrheit überhaupt nicht angehen können.
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Wenn er jetzt da wäre, würde ich ihn daran erinnern, wie er selbst nicht ohne Erfolg für die Einschränkung des Einstimmigkeitsprinzips gekämpft hat. Und inzwischen sind ja im Vertrag von Lissabon Felder für
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