Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie wollen wir leben

Wie wollen wir leben

Titel: Wie wollen wir leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Maischenberger
Vom Netzwerk:
von Nichteinmischung …
    Â 
    In diesem Fall bin ich nicht ganz seiner Meinung. Es gibt doch Situationen, die wirklich Völkermord bedeuten. Und dann prinzipiell zu sagen: »Das interessiert uns nicht, da greifen wir nicht ein«, das wäre auch ein gewisser Widerspruch zu dem Vertrag, der den Weltgerichtshof in Den Haag und seine Zuständigkeit begründet hat und dem wir zugestimmt haben. Dieser Gerichtshof ist ja eingerichtet worden, um Völkermörder und Menschenrechtsverbrecher zu bestrafen. Also ist der Grundgedanke, dass Menschenrechte universal geschützt werden sollen, einmal mehr artikuliert. Dass der Sicherheitsrat ihn nun in einzelnen Fällen als Rechtfertigungsgrund für einen militärischen Einsatz gelten lässt, kritisiere ich nicht. Das wird aber noch ein langer Prozess werden.
    Â 
    Wie groß ist denn noch unser Bedarf, am Hindukusch tätig zu sein, nachdem der Kopf der al-Qaida getötet wurde?
    Â 
    Es lässt sich nur schwer beurteilen, welche Auswirkungen das Verschwinden von Osama bin Laden hat. Man wird sehen, ob die Zahl der Anschläge abnimmt. Es ist sogar prophezeit worden, dass deswegen die Zahl der Attentate zunehmen wird. Einige Leute sagen, man hätte ihn weiter in Ruhe leben lassen sollen – okay, das sind Dinge, die ich gern mit den Vertretern dieser Meinung diskutieren würde.
    Â 
    Sie sprechen von einem »Verschwinden« – das ist eine interessante Formulierung. Nicht wenige sind der Meinung, dass dies eine Hinrichtung gewesen sei, andere sprechen von einer gezielten Tötung. Wie stehen Sie zu einem solchen Vorgehen, das die Frage nach völkerrechtlichen Kriterien aufkommen lässt?

    Â 
    Ich hätte Tötung sagen sollen. Ich verwendete das Wort » Verschwinden«, weil ich in diesem Moment an die Seeversenkung dachte. Also, die Tötung wirft zweifellos erhebliche rechtliche Probleme auf. Wäre sie auf deutschem Boden geschehen, dann wäre die rechtliche Beurteilung wahrscheinlich gar nicht sehr schwierig. Nur gibt es Fälle – wir hatten schon einmal darüber gesprochen – , bei denen jemand aus Gewissensgründen rechtliche Normen verletzt. In diesen Fällen muss gefragt werden, welches Gewicht diese Gewissensgründe haben. Dass ein amerikanischer Präsident für eine solche Gewissensentscheidung eine Menge Gründe anführen konnte, das liegt auf der Hand.
    Â 
    In Ihrem Leben hatten Sie eine Phase, in der auch Sie sich mit Terrorismus auseinandersetzen mussten, selbst wenn der gar nicht mit dem von heute zu vergleichen ist. Es war in der RAF-Zeit. Als Sie von der Tötung von Hanns Martin Schleyer, Siegfried Buback oder Gerold von Braunmühl erfuhren, was waren damals Ihre Überlegungen? Was hätten Sie damals gemacht, wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, mit einer gezielten Aktion möglicherweise Leben zu retten?
    Â 
    Ich beschränke mich in meinen Bemerkungen jetzt auf den Herbst 1977, da ging es um Leben oder Tod von Hanns Martin Schleyer und um Leben oder Tod von etwa neunzig Menschen an Bord der Landshut. Die zentrale Persönlichkeit war damals Helmut Schmidt, der seine Entscheidungen nach gründlichen Aussprachen in der alle Parteien und Fraktionen umfassenden Krisenrunde mit besonnener Entschlossenheit traf. Ich hatte verfassungsrechtliche und andere juristische Argumente beizusteuern. Und das war schon eine Belastung besonderer Art. Eine Situation, in der man Schleyer dadurch hätte retten können, dass ein anderer unter Verletzung des geltenden Rechts getötet worden wäre, habe ich nicht in Erinnerung. Ich hätte das auch entschieden abgelehnt. Die Herausforderung der RAF ist damals eben im Rahmen des Grundgesetzes und des geltenden Rechts überwunden worden. Das darf man immer wieder einmal in Erinnerung rufen. Geschossen wurde von der GSG9, einer Antiterroreinheit, bei der Erstürmung des Flugzeugs in Mogadischu. Dabei wurden drei der
vier palästinensischen Terroristen getötet; die vierte Person, eine Frau, wurde schwer verletzt. Aber das war rechtlich gesehen Notwehr – oder jedenfalls Nothilfe.
    Will man das mit Blick auf Osama bin Laden weiter vertiefen, so könnte man sich fragen, ob sich der Begriff der Notwehr auch auf diesen Fall ausdehnen lässt. Hat er etwa zu dem fraglichen Zeitpunkt weitere konkrete Anschläge geplant? Von welchem Planungsstadium an greift die Notwehr? Und hätte Verhaftung nicht den

Weitere Kostenlose Bücher