Wie wollen wir leben
groÃe Dominosteine beim »Fest der Freiheit« vor dem Brandenburger Tor aufgebaut. Sie wurden von Jugendlichen und von ausländischen Gästen aus der ganzen Welt umgestoÃen. Das hat mich schon beeindruckt.
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Damals wurde der Showcharakter des Spektakels kritisiert.
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Aber wenn ein einziger Dominostein angestoÃen wird und danach alle anderen fallen, dann entspricht das genau der seinerzeitigen geschichtlichen Realität. Einer der ersten Steine wurde übrigens von Lech WaÅÄsa umgeworfen. Deshalb hat es mir gefallen.
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Würden Sie sich mehr von dieser Art Erinnerungskultur wünschen, die möglicherweise auch einen Zusammenhalt in der Gesellschaft schafft?
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Es soll dieses Denkmal zur Deutschen Einheit geben. Kennen Sie es?
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Nein. Es steht ja noch nicht.
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Aber doch sicher den Entwurf? Man hat sich für eine goldene Waagschale entschieden, die in Berlin aufgestellt werden soll. Besucher können darauf klettern, und dann senkt es sich nach der einen oder anderen Seite, je nach dem Standort der Menschen. Ich kann da einen verständlichen Zusammenhang zum Zustandekommen der Deutschen Einheit nicht erkennen. Im Ãbrigen gibt es immer wieder im Deutschen Historischen Museum in Berlin Ausstellungen zu diesem Thema.
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Ein Museum, ein Denkmal â fällt uns nichts anderes ein? Braucht man diese Einrichtungen, um gleichsam den nationalen Ãberschwang, die Emotionen, die es ja gibt, nicht zu sehr zu betonen?
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Mir geht es nicht in erster Linie um Ãberschwang. Viel wichtiger wäre es mir, dass ein Gefühl der Dankbarkeit deutlich wird. Denn wir haben allen Anlass, für die Entwicklung im Jahr 1989 unseren Dank zu bekunden. Es ist eine Entwicklung, die in diesem Tempo niemand vorausgesehen hat. Es ist eine Dankbarkeit gegenüber den Menschen, die aufgestanden sind und sagten: »Wir sind das Volk!« Und gegenüber allen, die das Zustandekommen der Einheit ohne BlutvergieÃen ermöglicht haben.
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Das wäre doch jedes Jahr mehr als ein Feuerwerk wert, wenn nicht gar etwas anderes. Meinen Sie nicht, dass da etwas fehlt?
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Ja. Diese Lücke müsste man in geeigneter Weise füllen. Und eben gerade auch mit Aktivitäten, die Freude und Dankbarkeit zum Ausdruck bringen.
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Es gibt ein anderes Element, durch das Zusammengehörigkeit gegenüber dem Vaterland ausgedrückt werden sollte â so war es jedenfalls einmal gedacht gewesen â, und das war die Wehrpflicht. In der Form, wie wir sie kannten, existiert sie nicht mehr. Sind Sie ein Anhänger davon, dass die Wehrpflicht abgeschafft wurde?
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Wenn wir von Wehrpflicht reden, müssen wir auch den Zivildienst einschlieÃen, das gehört zusammen. Ich selbst glaube, dass die Abschaffung der Wehrpflicht unvermeidlich war, weil es zunehmend verfassungsrechtliche Probleme gab. Da nur noch 20 oder 25 Prozent eines Jahrgangs eingezogen und die Befreiungstatbestände immer gröÃer und umfangreicher wurden, wäre es rechtlich auÃerordentlich schwierig gewesen, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten. Man kam nicht darum herum, sie abzuschaffen. Allerdings hätte ich mir das bei ihrer geschichtlichen Bedeutung doch etwas anders gewünscht, als es jetzt geschah. Die Regierung hat nämlich einfach gesagt: »Die setzen wir nun aus â und das Parlament beschäftigen wir später damit.« Und dabei den Eindruck erweckt, das geschehe vor allem aus finanziellen Gründen.
Ich selbst unterstütze das, was Helmut Schmidt mehrfach gefordert hat, nämlich ein allgemeines soziales Jahr als Alternative zur Wehrpflicht. Zurzeit gibt es das als ein Angebot für Freiwillige. Aber es wäre gut, wenn alle Männer und Frauen â es muss ja kein ganzes Jahr, meinetwegen kann es auch ein Dreivierteljahr sein â für das Gemeinwesen tätig sind und Lebenserfahrungen auch auf Gebieten sammeln, die ihnen sonst wahrscheinlich verschlossen bleiben. In unserem Altenwohnheim kann ich beobachten, wie junge Menschen, die in der Pflege für alte Menschen ein halbes oder Dreivierteljahr tätig waren, etwas für ihr Leben gelernt haben. Ich weiÃ, man diskutiert darüber, ob man das ebenfalls für Frauen verbindlich machen kann. Meine Meinung ist hierbei ganz klar: Gleichberechtigung bedeutet auch gleiche Verpflichtung.
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Da Frauen aber immer noch diejenigen sind, die bei der Kindererziehung den gröÃten Teil
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