Wie wollen wir leben
Vorrang vor ErschieÃung haben müssen?
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Eine Notwehrsituation wäre gegeben, hätte bin Laden zu einer Waffe gegriffen. Er soll aber unbewaffnet gewesen sein. Und hätte man ihn gefasst, hätte man auch die Ausführung der Pläne verhindern können.
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War man sicher, bin Laden lebend abtransportieren zu können?
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Wäre es Ihnen lieber gewesen, man hätte ihn wie die RAF-Mitglieder vor Gericht gestellt?
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Verneint man das Vorgehen, das bei bin Laden praktiziert wurde, ist der Prozess die einzige Alternative. Aber ein solcher hätte wahrscheinlich wieder Gefahren ausgelöst, die zu berücksichtigen sind. Ich bleibe dabei: Juristisch gesehen gibt es durchaus Einwände. Es war aber jedenfalls eine Gewissensentscheidung, und zwar die von Barack Obama â und die will ich nicht kritisieren.
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Noch einmal zurück zur RAF. Hatten Sie Augenblicke, in denen man selbst verzweifelt?
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Solche Momente gab es, weil alle Bemühungen, Hanns Martin Schleyer zu finden, über Wochen hinweg vergeblich blieben. Zudem hatte ich täglich telefonischen Kontakt mit Hanns-Eberhard Schleyer, dem Sohn des Entführten. Dadurch ist mir das alles sehr nahegegangen.
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Und es gab diese furchtbaren Aufnahmen.
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Die waren für diejenigen, die mit Schleyer befreundet waren, noch schlimmer. Helmut Kohl hat unter der Videobotschaft, zu der die
Entführer Schleyer zwangen und die wir uns in der Krisenrunde gemeinsam ansahen, besonders gelitten, weil er mit ihm befreundet war.
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Hatten Sie da nicht den Impuls, zu sagen, man müsse auf die Forderungen der Terroristen eingehen?
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Ich selbst nicht. Dafür war die Erinnerung an den Fall Lorenz zu präsent.
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Aber wurde die Erfüllung der Forderungen in der Krisenrunde kurz erwogen?
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Das ist kurz erwogen, aber sofort abgelehnt worden. Werner Maihofer, damaliger Bundesinnenminister, war in dieser Frage zu Beginn etwas zögerlich. Dann aber schloss er sich bald der allgemeinen â und insbesondere von mir vertretenen â Meinung an. Diese stützte sich auf die Erfahrungen in dem Präzedenzfall Peter Lorenz. Er war Spitzenkandidat der CDU für die unmittelbar bevorstehenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus gewesen und wurde Anfang 1975 von der »Bewegung 2. Juni« entführt und in einem Berliner Kellerraum festgehalten. Für seine Freilassung verlangten die Erpresser im Austausch die Freilassung von fünf inhaftierten Terroristen. Diese Forderung wurde â gegen meinen Widerspruch â erfüllt, und die Freigepressten wurden in den Jemen ausgeflogen. Danach blieben sie aber nicht passiv, sondern beteiligten sich erneut an Morden oder Mordversuchen. Hätte man nun bei Schleyer wiederum nachgegeben, so wäre dadurch erneut das Leben einer gröÃeren Zahl von Menschen aufs Spiel gesetzt worden. Denn auch in diesem Fall hätten die Freigepressten ihre terroristischen Aktivitäten wieder aufgenommen. AuÃerdem hätte es für die RAF einen groÃen Triumph bedeutet. Und einen unglaublichen Anreiz für weitere Entführungen. Mit welchen Begründungen hätte man dann noch Freilassungen ablehnen können?
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In welchem Moment wurde Ihnen klar, dass das Leben von Hanns Martin Schleyer verwirkt war?
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Dass es in hohem MaÃe gefährdet war, wusste ich schon deshalb von Anfang an, weil die Freilassungen ja abgelehnt wurden. Dass es verwirkt war â diesen Eindruck habe ich nie gehabt. Ich habe bis zuletzt gehofft, er könne gefunden und befreit werden.
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Ich frage auch in diesem Fall nach Vergebung und Versöhnung. Haben Sie diese Frage für sich selbst beantworten können?
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Es gibt von mir einen Brief an die Ehefrau Waltrude Schleyer, den ich wohl am Tage der Trauerfeier an sie und die Familie geschrieben habe. Darin äuÃerte ich mein Mitgefühl und mein Verständnis dafür, dass sie die von mir vertretene Position für falsch hielten und deshalb bekämpft haben. Darauf gab es eine Reaktion der Familie, die die Spannung nicht verschärfte. Auf dieser Grundlage konnten Hanns-Eberhard Schleyer und ich in der Folgezeit, in der wir uns in unseren Funktionen immer wieder begegneten, sachlich miteinander umgehen.
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Und Vergebung für die Terroristen? Muss man dafür Christ sein?
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Zur Versöhnung und zur Vergebung sollte jeder Mensch bereit sein. Ob Christ oder nicht. Als Christ bin
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