Wie wollen wir leben
Beispiel dann, wenn eine Frau als Angeklagte oder Zeugin vor Gericht steht. Weigert sie sich, den Kopfschleier abzulegen, so ist das nicht akzeptabel. Man muss erkennen können, ob die Frau, die da steht, wirklich diejenige ist, um die es geht. Der Richter muss auch ihre Miene verfolgen können, wenn sie ihre Aussage macht. Das sind Fälle, in denen der Vollschleier notfalls zwangsweise entfernt werden muss. Für ein allgemeines Verbot reicht das aber meines Erachtens nicht aus.
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Die Religionsfreiheit ist ein garantiertes Grundrecht, und dennoch sollen islamische Lehrerinnen keine Kopftücher tragen. Wie passt das eine mit dem anderen zusammen?
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Hier gibt es unterschiedliche Ansichten. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Sache nämlich keine Entscheidung getroffen, sondern sie an den baden-württembergischen Landtag verwiesen. Der hat dann ein Verbot in Kraft gesetzt. Unter dem Aspekt der Religionsfreiheit kann ich das nicht akzeptieren, denn Klosterfrauen unterrichten auch in ihrer Ordenstracht und tragen um den Hals ein deutlich sichtbares Kreuz. Gibt es da wirklich einen fundamentalen Unterschied?
Anders mag es sein, wenn das Kopftuch im Einzelfall nicht nur ein religiöses Symbol, sondern ein Indiz für eine mit dem Grundgesetz unvereinbare Grundhaltung ist. So etwa für die Ablehnung der Gleichberechtigung oder gar der Menschenwürde der Frau. Dem muss nachgegangen werden. Und eine solche Person gehört nicht in den Lehrdienst â und das auch dann nicht, wenn sie kein Kopftuch trägt.
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Sie haben in einem Atemzug die islamische Kopftuchträgerin und die christliche Nonne genannt â und das berührt einen grundsätzlichen Streit in Deutschland. Bundespräsident Christian Wulff äuÃerte die Sätze: »Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.« Und Bundesinnenminister Hans-Peter
Friedrich konterte: »Die Leitkultur in Deutschland ist die christlichjüdisch-abendländische. Sie ist nicht die islamische â¦Â« Wem stimmen Sie zu?
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Das sind zwei verschiedene Aussagen. Die von Bundespräsident Wulff bezieht sich auf die gegenwärtige Situation. Und da hat er völlig recht: Natürlich ist der Islam heute in Deutschland präsent und gehört deshalb zu uns. Immerhin leben inzwischen â übrigens zum gröÃten Teil legal â 3,8 bis 4,3 Millionen Muslime unter uns, so eine Studie, die die Islamkonferenz von Wolfgang Schäuble 2009 in Auftrag gegeben hatte. Ob Friedrich diesen unbestreitbaren Sachverhalt wirklich in Frage gestellt hat, ist mir bei seinen Formulierungen unklar. Vielleicht wollte er nur zum Ausdruck bringen, dass der Islam für die geschichtliche Entwicklung unseres Landes bis heute nicht die Bedeutung hat wie die christliche Religion. Und damit hätte er ja auch recht. Insofern kann ich zwischen den beiden ÃuÃerungen eigentlich keinen fundamentalen Widerspruch erkennen, wie er jetzt von manchen Seiten behauptet wird.
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Würden Sie sagen, der Islam gehört zu Deutschland?
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Seit geraumer Zeit ja. Er gehört zu Deutschland. Wenn sich in diesem Land zwischen drei und vier Millionen Menschen zum Islam bekennen, dann gehört er eben dazu. Die Atheisten gehören ja auch dazu. Ebenso andere nicht-christliche Richtungen und Gemeinschaften.
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Mit den gleichen Rechten?
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Selbstverständlich. Die Religionsfreiheit ist nicht eine, die sich auf bestimmte Religionen beschränkt, sondern sie ist ein generelles Grundrecht.
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Es gibt Menschen, die der Ãberzeugung sind, die Islamisierung ist eine der gröÃten Gefahren, denen Deutschland ausgesetzt ist. Sie meinen das nicht unbedingt im terroristisch-kriegerischen Sinn, sondern in der schleichenden Ãbernahme unserer Grundwerte. Dabei nehmen sie auf den Koran Bezug, aber sie argumentieren auch demografisch. Es wird von ihnen die Schlussfolgerung gezogen, dass wir uns dieser Islamisierung erwehren müssen, weil wir den Muslimen Freiheiten geben, die diese Religionszugehörigen uns wiederum nicht zugestehen.
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Zunächst einmal sind wir für unser eigenes Land zuständig und verantwortlich. Wir haben uns eine Verfassung gegeben, und die Verfassung enthält Grundwerte, die für alle, die hier leben, verbindlich sind. Dazu gehört auch der Grundwert der
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