Wie wollen wir leben
Deutschland?
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Sicher.
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Sie würden es in dieser Hinsicht befürworten, mehr dem christlichen Bild zu folgen?
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Entschuldigung, ich habe mich eindeutig für die Königsteiner Erklärung ausgesprochen. Und damit meine ich, dass Empfängnisverhütung nach Gewissensentscheidung des Einzelnen und also auch die Pille möglich sind. Ich meine nicht, dass man die Erklärung aufheben und die strenge Lehre durchsetzen muss, damit mehr Kinder auf die Welt kommen. Das ist eine Verbindung, die ich nicht herstelle. Zudem sollte man den quantitativen Einfluss dieser Enzyklika realistisch beurteilen. SchlieÃlich weise ich noch auf einen Unterschied hin: In Deutschland und einigen vergleichbaren Ländern sinkt die Kinderzahl, weltweit steigt sie. Zahlen nannte ich schon.
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Es wird über kaum etwas so gern öffentlich gestritten wie über die Sexualmoral der katholischen Kirche. Viele meinen, die Kirche müsse sich modernisieren und in diesem Punkt bestimmte Positionen aufgeben. Wo sehen Sie die Berechtigung?
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Dabei geht es aber nicht so sehr um das Thema, das wir jetzt besprochen haben.
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Doch! Etwa um Empfängnisverhütung, um Verhütung von sexuell übertragbaren Krankheiten â¦
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Darüber redeten wir ja gerade. Es geht aber wohl auch um den auÃerehelichen Geschlechtsverkehr.
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Um den sowieso.
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Das ist ein Hauptpunkt. Und es geht um die Homosexualität. Zur Homosexualität finden sich jetzt gelegentlich kirchliche Meinungen, die zwar nach wie vor das Nein betonen, aber doch ein stärkeres Verständnis für diesen Personenkreis erkennen lassen. Verglichen mit den scharfen Verurteilungen der Vergangenheit, ist das ein gewisser Fortschritt.
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BegrüÃen Sie die Entwicklung? Der Spiegel -Journalist Matthias Matussek und Autor des Buches Das katholische Abenteuer meint, gerade die
Kirche hätte die Pflicht, Positionen zu formulieren, die nicht den Normen des Alltags entsprechen, um so eine Orientierung geben zu können. Wie sehen Sie das?
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Ich sehe den Fortschritt der Kirche darin, dass sie es nicht mehr beim absoluten Nein ohne jede weiteren Erläuterungen und Erklärungen bewenden lässt, sondern auf die Situation der jeweiligen Menschen eingeht. Ja, dass sogar darüber eine innerkirchliche Auseinandersetzung möglich geworden ist. So war ich zum Beispiel schon früh gegen ein strafrechtliches Verbot der Homosexualität. Als Abgeordneter habe ich selbst an dem allmählichen Abbau und der Beseitigung des Paragrafen 175 mitgewirkt. Dies vor allem deshalb, weil es eben Menschen mit einer anderen sexuellen Identität gibt. Was den auÃerehelichen Geschlechtsverkehr angeht, herrscht wohl tatsächlich ein sehr starker Widerspruch zwischen den Lehren der katholischen Kirche und der Realität vor. Bis zum Tag des Hochzeitssakraments zu warten und dann zum ersten Mal mit dem Partner zu schlafen, das deckt sich schwerlich mit meinen Beobachtungen und Lebenserfahrungen. Ob die Kirche gut beraten ist, ein solches Spannungsverhältnis weiter aufrechtzuerhalten, und ob nicht Abwendungen von der Kirche auch damit zusammenhängen, das ist eine durchaus berechtigte Frage.
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Aber wenn nicht die katholische Kirche, wer soll denn sonst einen absoluten Anspruch einer moralischen Position verfechten?
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Es ist ja gut, wenn scharf formulierte Grenzen aufgezeigt werden, doch muss man sich immer die Felder ansehen, auf denen man sie aufrichtet. Und man muss sich mit der Spannung zwischen diesem scharfen Nein und der Wirklichkeit auseinandersetzen. Bei den Gläubigen wächst meiner Ansicht nach die Erkenntnis, dass ein Thema auch dann nicht erledigt ist, wenn die Kirche ein absolutes Nein verhängt hat. Sie fordern die Diskussion, damit man zu neuen Perspektiven und Einsichten gelangen kann. Besonders nach dem Aufdecken der Missbrauchsfälle hat diese Entwicklung an Fahrt gewonnen. Ãber hundert katholische Theologen äuÃerten sich bekanntlich vor einiger Zeit in einer gemeinsamen Erklärung in diesem Sinn.
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Und Sie begrüÃen das nachhaltig?
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Einfach zu sagen: » Roma locuta, causa finita â Rom hat gesprochen, die Sache ist beendet«, das reicht eben nicht mehr. Es bedarf eines neuen »Aggiornamento«, wie es Johannes XXIII. forderte, als er 1962 das Zweite Vatikanische Konzil einberief. Und das brachte ja groÃe Fortschritte.
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