Wie wollen wir leben
Notwendigkeit zu Aktionismus. Es sind ja Fortschritte erzielt worden. Man hat gelernt, dass die Sprache bei der Integration eine groÃe Rolle spielt und sie nach Möglichkeit früh gelernt werden sollte, am besten schon im Kindergarten. Natürlich gibt es nach wie vor Familien, die sich abschotten, weil die Frauen, die mit ihren Männern nach Deutschland gekommen sind, nicht Deutsch gelernt haben. Aber das sind keine unlösbaren Probleme. Sind denn die anderen Völker, die mit ähnlichen Schwierigkeiten zu tun haben, alle dem Untergang nahe? Wissen Sie, da sind Erregungshöhen, denen ich nicht folgen kann.
Ãber die Sexuallehre der katholischen Kirche, Eheversprechen und Patchworkfamilien
Ihr Parteifreund Helmut Schmidt hat ein Buch geschrieben, das Religion in der Verantwortung heiÃt. Eine Quintessenz daraus ist, dass er den persönlichen Bezug zur Religion durchaus für hilfreich und nützlich hält, aber katastrophal in der Auswirkung, wenn sie zur politischen Kategorie wird. Haben Sie das Buch gelesen?
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Das habe ich, aber die Stelle müssten Sie mir nennen, wo er sagt, dass Religion generell katastrophale Auswirkungen hat.
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Der Ausdruck »katastrophal« ist vielleicht übertrieben, aber er warnt vor einer politischen Instrumentalisierung von Religion.
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Davor war lange Zeit sehr zu warnen, und das muss man auch im Auge behalten. Ich denke da an die Zeit, in der vor Wahlen von katholischen Kirchenkanzeln Wahl-Hirtenbriefe mit konkreten Empfehlungen verlesen wurden. Das würde zu dem passen, was Sie gerade wiedergegeben haben. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch den anerkannten Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde zitieren: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.« Das heiÃt, man braucht Ableitungen, Begründungen für die Wertordnung unseres Grundgesetzes. Und natürlich ergibt sich aus den kirchlichen Lehren und Aktivitäten Wesentliches für solche Begründungen, etwa für die Solidarität mit den Schwächeren, für die Menschenwürde oder inzwischen auch für die Religionsfreiheit. Es gibt eigentlich kaum ein Feld, wo nicht aus der christlichen Religion etwas für die Begründung dieser Werte hergeleitet werden kann. AuÃerdem: Wenn Sie sich das christliche Menschenbild anschauen und sich ein bisschen im Neuen Testament auskennen, dann wissen Sie, dass christliche Religionen immer wieder ihren Blick auf die Schwachen richten. Man soll die
Hungrigen sättigen, den Durstigen zu trinken geben, die Kranken und Gefangenen besuchen und die Fremden aufnehmen, heiÃt es da im Matthäusevangelium an der Stelle, die ich schon nannte. Auch liest man, dass der Kranke des Arztes bedarf und nicht der Gesunde. Das sind doch Gedanken und Erinnerungen, die nicht schädlich sind für die Politik, sondern genau das Gegenteil â hilfreich.
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Schmidt kritisierte auch mehrfach die Sexuallehre der Katholiken, ihre Vorstellungen von der Empfängnisverhütung, gerade in Bezug auf die Entwicklung der Weltbevölkerung.
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Gemeint ist jene Enzyklika »Humanae vitae« aus dem Jahr 1968, die alle Verhütungsmittel verbietet. Darüber, dass viele Katholiken dem nicht folgen, haben wir schon gesprochen. Auch über die anschlieÃende Königsteiner Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, in der es heiÃt, es bleibe letzten Endes der Gewissensentscheidung des Einzelnen überlassen, ob und in welchen Situationen Verhütungsmittel angewendet werden. Selbst für sehr gläubige Katholiken ist das Spannungsverhältnis dadurch erträglicher geworden.
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Empfinden Sie es tatsächlich als ein Spannungsverhältnis?
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Sicher besteht da ein solches zwischen der Enzyklika, die ein absolutes Nein vorgibt und nur die Nutzung der natürlichen Fruchtbarkeitspausen als Möglichkeit zu einer gewissen Geburtenlenkung bejaht, aber alle anderen Verhütungsmittel wie die Pille oder Kondome ablehnt, und dem Papier der Bischofskonferenz, das die Gewissensentscheidung des Einzelnen gelten lässt.
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Wie sind Sie persönlich damit umgegangen?
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Meine Kinder stammen aus der Zeit vor der Enzyklika.
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Wenn man sich dem nähert, was die Kirche zur Empfängnisverhütung sagt â das haben Sie einmal anklingen lassen â, gäbe es dann vielleicht mehr Kinder in
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