Wiedergaenger
Hand gegen sie erhoben hat,
steht er da wie geprügelt.Aus den Ärmeln seiner Jacke
tropft Wasser. Über ihren Köpfen kreist eine Raubmöwe.
»Ich bin keine schlechte Frau. Man muss nicht schlecht sein,
um Schlechtes zu tun. Manchmal geht es nicht anders.«
»Das musst du mir erklären.«
Wenn sie nur wüsste, wie.
»Du hast Geheimnisse vor mir.«
»Es wäre besser, du gewöhnst dich daran.«
Im Wagen fängt er an zu heulen. Liv bittet ihn um Verzeihung.
Er gibt keine Antwort, reibt unentwegt sein Handgelenk und schluchzt
dabei ungeniert. Sie kommt sich vor wie der mieseste Mensch auf
Erden. Die mieseste Mutter ist sie auf jeden Fall. Es ist keine
Rechtfertigung, aber sie wollte nie eine sein, schon gar nicht in der
damaligen Konstellation, mit Anfang zwanzig und ihrem damaligen
Verlegenheitsfreund als Vater. Wäre es allein nach ihr gegangen,
hätte sie abgetrieben. Stattdessen die Hochzeit. Sie hat sich
nötigen lassen, ausgerechnet von ihrem Großvater, kein
anderer hätte sich das erlauben können. Seitdem hat er sich
nie wieder in ihr Privatleben eingemischt.
»Tut es sehr weh?«
Er schüttelt den Kopf.
»Ich schäme mich. Hörst du, es tut mir leid. Ist
das angekommen?«
Erst Schulterzucken, dann wieder Kopfschütteln. Wenigstens
hört die Heulerei auf.
Eine Weile fahren sie schweigend. Es ist Freitag früh, die
Stadt befindet sich in der Tiefschlafphase.
»Können wir da anhalten?« Er deutet auf ein
Burger-King Restaurant am Straßenrand, eine Insel aus grellem
Licht im nächtlichen Grau. »Ich hab Hunger.«
Sie bremst sofort, froh, irgendetwas tun zu können, das die
Stimmung aufhellt. Etwas Einfaches, das mit Kaufen zu tun hat. Sie
entscheiden sich für Cheeseburger, Pommes und Cola und gegen das
Aussteigen, also bestellt sie am Drive-In-Schalter und parkt
anschließend. Schon der Geruch, der aus der Papiertüte
strömt, ist tröstlich, und die Atmosphäre im Wagen
verändert sich. Kaum ist der Motor abgeschaltet, fallen sie
beide über die fettige Mahlzeit her, als wären sie am
Verhungern. Um das Schmatzen zu übertönen, schaltet Liv das
Radio ein. Balladenpop.
»Weiß dein Vater, wo du bist?« »Nein. Er
denkt, ich schlafe bei einem Freund.« »Warum lügst
du ihn an?«
Aaron kaut auf seinem Strohhalm. Die Eiswürfel im Becher
klackern leise. »Papa hätte sowieso nicht erlaubt, dass
ich zu dem Konzert gehe, weil er deine Musik nicht ausstehen kann.«
»Eigentlich war es auch nicht für Teenager gedacht.«
»Na und? Du bist meine Mutter, das reicht ja wohl für eine
Ausnahme.Außerdem wollte ich dich etwas fragen.« »Was
denn?«
Er holt tief Luft. Liv versucht sich zu wappnen. Seine Frage, das
steht fest, wird eine Zumutung sein, sonst hätte er nicht so
viel Aufwand betrieben, um sie zu stellen. Aaron zögert. Sie
ermutigt ihn nicht.
»Ob ich bei dir wohnen kann.«
Liv spürt, wie ihre Gesichtszüge auf eine Weise
entgleiten, die fürAaron verletzend sein muss. »Heißt
das nein?« »Was?«
»Wie du guckst. Heißt das nein?«
»Nein ... Also ja. Ich meine ... nein. Nein, Aaron, du
kannst nicht bei mir wohnen. Das ist ausgeschlossen.«
»Wieso?« Er fischt die letzten Pommes aus der Tüte,
dem Anschein nach weder überrascht noch sonderlich enttäuscht.
Weil mir in absehbarer Zeit in deiner Anwesenheit mit Sicherheit
die Hand ausrutscht – oder die Faust, denkt Liv, aber das sagt
sie natürlich nicht. »Zu viel Arbeit, ich bin fast nie zu
Hause. Du bist erst dreizehn und wärst dauernd allein.«
»Vierzehn. Und das Alleinsein würde mich nicht stören.«
»Mich aber. Und deinen Vater erst«, sagt Liv. »Was
ist eigentlich los, habt ihr Streit?«
»Nö.«
»Hast du Schwierigkeiten mit Hanna oder deinen Geschwistern?
Oder ist in der Schule .«
»Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten«, fällt
Aaron ihr ins Wort und zerknüllt das Papier seines Cheeseburgers
mit Hingabe. »Es läuft gut zu Hause und in der Schule,
aber das langt mir nicht. Ich will mehr. Mich ödet das an. Das
müsstest du doch kapieren. Kann ich ein Eis haben?«
Sie kauft ihm eins. Plötzlich findet er alles cool: den
Parkplatz für mindestens dreißig Wagen, den sie für
sich allein haben,bis ein älterer Mann im Kombi eintrifft und
sich seine
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