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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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weiß nicht, was sie sagen soll. Sie
stellt es sich vor:Aaron und sie in ihrer großen, leeren
Wohnung an den Docks, seine Klamotten, die überall herumliegen,
auf dem Parkett, dem schwarzen Ledersofa. Sie müsste ihr
Arbeitszimmer für ihn räumen. Das wäre machbar, sie
nutzt den Raum ohnehin selten, erledigt das Meiste im Büro,
daheim sitzt sie mit ihrem Notebook am liebsten am Tresen zur Küche.
    Vielleicht lässt sie sich deshalb zu einem Versprechen
verleiten: »Wir warten bis Ostern. Wenn du bis dahin deine
Meinung nicht geändert hast, darfst du probeweise bei mir
einziehen. Falls deine Eltern einverstanden sind.Aber ich rate dir
dringend davon ab. Du hast ein schönes Zuhause. Mach dir dein
Leben nicht schwerer als nötig.«
    Aaron nickt langsam, sein Gesicht glüht vor Triumph.Als er
aussteigt, sagt er: »Bis Ostern.«
    Â 

Ostern
    Der Nachbar bringt Arbeit: vier große Meeresforellen und
zwei Papageientaucher. Er hat von Fritzis Vorhaben gehört, die
Familie an Ostern um einen Tisch zu versammeln, immerhin zehn
Personen, falls die Schwiegertochter und ihre Nichte mit Kindern und
Enkeln sich tatsächlich blicken lassen. Auf den Enkel und die
Tochter ist wohl Verlass. Für isländische Verhältnisse
eine lächerlich kleine Sippe. Trotzdem viel Arbeit. Eigentlich
hat sie sich für Hangikjöt,geräuchertes Lamm,
entschieden, weil es nicht so schnell verdirbt. Nun also Forellen und
Papageientaucher. Ihr Fleisch, gebraten serviert, hat etwas von
Kalbsleber.
    Beim Ausnehmen der Fische steckt sie sich die Pfeife an, die Jón
gehörte, ein Mitbringsel von seiner einzigen Auslandsreise nach
Dänemark in den Sechzigern. Es war sein Wunsch,damit beerdigt zu
werden, doch sein Tod vor zehn Jahren kam für Fritzi so
überraschend, dass sie zu spät, nämlich erst am frisch
zugeschaufelten Grab, daran gedacht hat.Aus Verlegenheit über
diesen Fauxpas hat sie das Rauchen angefangen.
    Fritzi hat lange nicht für so viele Gäste gekocht, die
Planung bereitet ihr Mühe. Sie schält einen Berg
Kartoffeln, melkt die freundlichere der beiden übellaunigen
Kühe, die sie von der einst fünfzehn Tiere umfassenden
Herde behalten hat, und verwendet die Milch, solange sie noch warm
ist, für den süßen Brei.
    Ihr erstes Zusammentreffen mit einer Kuh, gleich nach ihrer ersten
Nacht auf Bjarg: Wohl weiß sie, wo das Tier seine Vorräte
verwahrt, aber nicht, wie sie es dazu bringen soll, sich davon zu
trennen, und zwar möglichst gezielt in den Blecheimer zu ihren
Füßen. Junge Frauen mit Erfahrung in der Landwirtschaft
waren Wochen zuvor per Zeitungsannonce in den Lübecker
Nachrichten für die Arbeit auf isländischen Farmen gesucht
worden. Natürlich hat sie gelogen. Wie die meisten
Bewerberinnen. Sie hatten alle kurz nach dem Krieg nur ein Ziel vor
Augen: weg, nichts wie weg aus Deutschland. Weg aus den Ruinen, weg
vom Hunger, weg von der Schuld. Egal, wohin. Es wurden ja regulär
keine Reisepässe für Deutsche ausgestellt, außer auf
schriftliche Einladung eines ausländischen Arbeitgebers.Also gab
sie sich als Bauerntochter aus, und niemand machte sich die Mühe,
ihre Angaben zu überprüfen. Bis zu diesem Tag. Sie berührt
die Kuh an der Flanke, dann die weiche Haut am Euter. Streicht mit
dem Zeigefinger über die hervortretenden Adern. Ein spöttischer
Blick der alten Halldora.
    Fritzi hatte auf dem Schiff genügend Zeit, zu grübeln,
wie es sein würde, sich auf einer isolierten Insel im Nordmeer
als Landmagd zu verdingen. Die Rückständigkeit, das
unwirtliche Klima, die strengen Gerüche an Mensch und Vieh –
alles wie erwartet oder schlimmer: Dass die Notdurft in der
Jaucherinne im Stall zu verrichten sein würde, hat sie sich
nicht vorher ausmalen können, ebenso wenig die zahllosen fetten
Fliegen in ihrer Kammer, teils tot, teils unermüdlich
umherschwirrend. Das Summen. Der Gestank. Sie kommt damit zurecht.
Jede neue Härte zählt als Unterpfand für den Beginn
ihres zweiten Lebens, welches das erste nicht nur ersetzen, sondern
auch die Erinnerungen daran auslöschen soll. Vergessen scheint
möglich. Sie mag verdreckt sein, aber es hat eine Reinigung
stattgefunden.
    Als Fritzi den Eimer ins Haus schleppt, randvoll mit Milch,
verharrt sie kurz, lässt den Wind ihre Zöpfe zerzausen und
hält die Zukunft für ein Kinderspiel.
    Er trifft

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