Wiedergaenger
überpünktlich und eine Spur zu geschniegelt in
Livs Wohnung ein, verströmt Pfefferminzatem und lärmenden
Optimismus. »Ich war gestern extra noch beim Friseur. Gut,
oder? Ich will mich schließlich vor deinen Leuten nicht
blamieren. Glaub es oder nicht, ich freue mich auf das Essen. Ich
kann es kaum erwarten, deinen Großvater endlich
kennenzulernen.«
Sein Enthusiasmus wirkt redlich, was Liv zweifeln lässt, ob
es eine gute Entscheidung war, Max zum Familientreffen einzuladen.
Was, wenn er nun denkt, sie sei bereit, nach zwei Jahren zwangloser
Beziehung den nächsten Schritt zu wagen?Auch Männer können
Torschlusspanik bekommen. Er ist gerade vierzig geworden, ein
gefährliches Alter.
»Versprich dir nicht zu viel davon. Tönges ist nicht
gerade die Freundlichkeit in Person.«
»Demnach kommst du nach ihm. Jetzt schau halt mal.« Er
präsentiert seinen frisch gestutzten Hinterkopf.
Sie fährt ihm über die sehr kurzen, feinen Haare, die
sich feucht anfühlen. »Du solltest draußen lieber
eine Mütze tragen. Es ist nicht gerade warm heute.«
»So fürsorglich neuerdings?«, fragt er mit einem
gemütvollen Lächeln, das sein Gesicht auf kindliche Weise
weich erscheinen lässt.
Liv beißt sich auf die Unterlippe. Schon wieder ein falsches
Signal von ihr.
Die Quittung kommt schneller als erwartet: Während der Fahrt
nimmt Max in Livs Gegenwart zum ersten Mal Wörter wie Liebe und
Glück in den Mund. Ein Tabubruch. So lange sind sie bestens ohne
diesen ganzen Mist ausgekommen. Sicher, er hat von Anfang an mehr
Gefühle in die Sache investiert als sie, gerade deshalb hat sie
geglaubt, dass er den Status quo niemals gefährden würde,
indem er anfängt, sie unter Druck zu setzen, und ihr sein Herz
ausschüttet. Im Grunde ist Max nicht ihr Typ, zu hellhäutig,
zu melancholisch. Ein Unternehmensberater, selbstständig seit
seiner Kündigung bei einer renommierten Consulting-Firma.
Ursprünglich wollte er sie als Klientin gewinnen, aber sobald er
merkte, dass ihr Nachholbedarf auf anderem Gebiet weitaus größer
war, schwenkte er um. Gutes Timing: Liv war seit einer Ewigkeit mit
niemandem mehr ausgegangen, ungezählte Nächte gieriger
Einsamkeit hatten an ihrem Ego genagt, sie war bereit für eine
Affäre – nicht mehr und nicht weniger – und dabei zu
passiv oder wegen der Scheidung zu desillusioniert, sich selbst auf
die Suche zu begeben. Es gefiel ihr, ihm zugefallen.
Jetzt im Auto zieht er plötzlich Bilanz: »Seit wir uns
kennen, bin ich ein glücklicherer Mensch geworden.«
Eine Bemerkung, die nach Bestätigung verlangt. Liv pariert
ihm zuliebe, obgleich sie selbst eine andere Umschreibung gewählt
hätte. Ein wenig ausgeglichener vielleicht. Zufriedener. Es ist
schnell eine Zwanglosigkeit zwischen ihnen entstanden,und Liv
empfindet die gemeinsam verbrachte Zeit als überaus angenehm.
Sogar der Sex ist in gewisser Weise angenehm, befriedigend, ohne sie
aufzuwühlen. Zufriedenheit wird unterschätzt, da ist sie
sich sicher, Glück hingegen überbewertet. Es gilt ja
heutzutage beinahe als armselig, die Frage nach dem Befinden nicht
mit einem Superlativ zu beantworten.Aber sie will nicht spitzfindig
sein. Letztlich ist alles eine Definitionsfrage.
Immerhin hat sie dank Max nun die Möglichkeit, das
kurzfristig angesetzte Mittagessen mit der Familie in vorzeigbarer
Begleitung zu absolvieren. Egal, was er sich darauf einbildet.
Eigentlich müsste er inzwischen begriffen haben, wie sehr sie
Verbindlichkeiten scheut. Liv hält die Dinge gern in der
Schwebe. Was nicht heißt, dass sie überhaupt nicht an die
große Liebe glaubt, aber in etwa so wie orthodoxe Juden an die
Ankunft des Messias: Unwahrscheinlich, dass es innerhalb ihrer kurzen
Lebenszeit dazu kommt, aber falls doch, ist sie bereit.Also macht man
es sich in der Diaspora gemütlich, so gut es geht, und hat den
fertig gepackten Koffer für den Aufbruch ins Gelobte Land
jederzeit griffbereit.
Auf der Autobahn nach Norden ist nichts los, trotz des
bevorstehenden Feiertags. Schwarze Wolkenberge am Horizont, Sonne und
Schauer im Wechsel.Atlantische Tiefausläufer. Nach der
Wettervorhersage vom Vorabend hat Liv sich mehr versprochen. Ein Hoch
über Polen und Ungarn sollte warme Luft aus dem Süden
anziehen, aber die ist wohl wieder nur bis München gekommen.
Typisch. Wenn die »Tagesschau«
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